Ein seltsam fremd gebliebener Krieg

SIEBEN TAGE, SIEBEN NÄCHTE: über den Abzug aus Afghanistan

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 2 Min.

Die letzten deutschen Soldaten haben Afghanistan am 29. Juni verlassen. Über den Abzug der letzten US-Truppen herrscht derzeit etwas Unklarheit. Sollen Truppen noch bis zum symbolträchtigen 11. September im Land bleiben, sollen sie bereits zum ebenso symbolträchtigen 4. Juli abgezogen sein? Das Pentagon und die US-Administration scheinen derzeit sehr darauf bedacht, keine symbolträchtigen Bilder vom Abzug zu liefern. Aber die Entstehung solcher Bilder ist nicht zu verhindern und nicht zu kontrollieren.

Die Bilder des Ansturms auf die letzten US-Hubschrauber aus Saigon im Frühjahr 1975: verzweifelte Fluchtversuche derer, die auf der Seite derer stehen, die jetzt gehen und die Rache der Sieger fürchten. Die mit roten Bannern geschmückte Brücke von Termiz, über die am 15. Februar 1989 die letzten sowjetischen Truppen Afghanistan verlassen: ein geschlagenes Weltreich, das militärisch in dem Konflikt nicht zu besiegen war - und politisch verloren hat, weil es nichts zu gewinnen gab. Beides schwingt auch 2021 mit, wenn 20 Jahre westlicher militärischer Intervention am Hindukusch enden.

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20 Jahre, 160 000 Soldaten insgesamt im Einsatz, 59 tote Bundeswehrsoldaten. Nüchterne Zahlen eines Krieges, der weiten Teilen der deutschen Gesellschaft immer fremd geblieben ist. Der Afghanistan-Einsatz tauchte dort oft nur in Stichworten auf: Krieg gegen den Terror, Deutschland wird am Hindukusch verteidigt, Brunnen graben und Mädchenschulen bauen, Tanklaster, Kunduz, Karfreitag, posttraumatische Belastungen, nichts ist gut in Afghanistan.

Natürlich hat ein Einsatz Tausende Kilometer entfernt eine andere Wirkung als ein Krieg im eigenen Land mit sichtbaren Opfern und Schäden. Und doch ist die gesellschaftliche und auch kulturelle Distanz erstaunlich. Der Zweite Weltkrieg dauerte keine sechs Jahre und ist auf allen Kanälen präsent und liegt als Metathema über oder als Subtext unter zahllosen Debatten, ist und wird immer wieder künstlerisch und kulturell bearbeitet. Nach mehr als dreimal so langem Krieg in Afghanistan - wie sieht dieser Krieg aus, wo sind die sichtbaren Spuren, wo die Narben? Nach dem Vietnam-Krieg gab es in den USA unzählige Bücher und vor allem Filme, um das »nationale Trauma« zu bearbeiten. Gibt es ein deutsches »Trauma Afghanistan«?

Vielfach und verständlich wandten sich nach dem Zweiten Weltkrieg Menschen traumatisiert vom Krieg und vom Soldatischen ab - auch wenn Krieg und Gewalt nicht verschwunden waren. Anstelle von Heroisierung trat die Professionalisierung und auch das Prinzip des Outsourcens. »Klassische« Kriegsziele wie Eroberung gelten als nicht mehr vertretbar - so müssen andere formuliert oder gefunden werden. So verschwimmt auch vieles und erleichtert eines: Wer heute nicht wissen will, wie Krieg aussieht, kommt in Deutschland sehr gut darum herum. Und doch ist sicher - auch Bilder aus Afghanistan werden kommen.

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