Was für ein Zufall

Giffey ist der Doktortitel egal, bei Karliczek sind es die Studenten

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das akademische Leben ist also ein wilder Hasard«, formulierte Max Weber in seiner berühmten Schrift »Wissenschaft als Beruf«. Der Zufall spielt eine große Rolle im universitären Betrieb, bis heute. Außenstehende nehmen das mit einem Schulterzucken hin. Wer jedoch mittendrin steckt, muss Unsicherheit und Unplanbarkeit inmitten unerbittlicher Konkurrenz zum Teil des eigenen Lebens machen. Politisch ist das gewollt, weil unverändert. Lohnarbeit ist ein Übel für sich, zudem sich jene, die von nichts anderem leben können, auch noch als würdig erweisen müssen. Die entscheidenden Türöffner sind dann die sogenannten Qualifikationsarbeiten mit den entsprechenden Titeln: Promotion und Habilitation, Doktor und Professor. Der Idee nach dient das zugleich der Qualitätskontrolle in den Wissenschaften, wobei man einige Zweifel haben kann, ob das unter allen denkbaren Mitteln das beste ist.

Franziska Giffey (SPD) scherte sich um die universitären Gepflogenheiten kein bisschen, als sie im vergangenen Herbst erklärte, sie würde ihren Doktortitel nun nicht mehr tragen wollen - wie ein aus der Mode gekommenes Kleidungsstück. Es war sowieso wahrscheinlich, dass er ihr wegen Plagiaten aberkannt würde. Was Giffey damals verlautbaren ließ, war ein an Arroganz und Herablassung schwer zu überbietendes Manöver. »Wer ich bin und was ich kann, ist nicht abhängig von diesem Titel. Was mich als Mensch ausmacht, liegt nicht in diesem akademischen Grad begründet.« Wer würde denn bitte annehmen, ein Titel mache sie oder ihn als Mensch aus? Vor allem von jenen, die gezwungen sind, sie zu erwerben, um die Möglichkeit zu haben, mit wissenschaftlicher Arbeit Lohn zu erwerben? Ganz abgesehen davon, dass sich der Berufswissenschaftler im Gegensatz zum Berufspolitiker Betrug eher nicht leisten kann und darf.

Giffey ist nun als Bundesfamilienministerin zurückgetreten. Das wäre in Bezug darauf, was sie in den vergangenen Monaten für Familien und insbesondere Kinder in diesem Land getan hat - nämlich nichts - immerhin ein Anflug von politischer Verantwortung gewesen. Doch es geht nur um ihren Titel. Sie wolle sich ihrer »Herzenssache Berlin« widmen. Wer‘s glaubt. Aber wer das nun als einen »mutigen Schritt nach vorn« oder einen »Beweis von Charakterstärke« bezeichnet, dürfte wohl auch die Rückgabe von Raubgut für den Ausdruck edelster Gesinnung, nicht aber für eine Notwendigkeit halten. Es ist ein Jahr her, dass Giffeys Kollegin, die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), von zahlreichen Studentenorganisationen - zu Recht - mit Rücktrittsforderungen bedacht wurde. In bester Merkel-Manier hat sie es einfach ausgesessen und spricht nun von »Luft nach oben«.

Viel Luft nach oben hatten Studenten auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Demonstrativ hielten sie eine Freiluftvorlesung ab. Die Rückkehr zum gemeinsamen Lernen in der Universität steht derweil in den Sternen. Es sei kompliziert, weil in den Hochschulen viele Menschen seien, hat Karliczek nur zu sagen. Wer sagt ihr, dass Universitäten große Häuser sind? Oder auch im öffentlichen Nahverkehr viele Menschen sind? Während das Studierendenwerk Berlin Öffnungsperspektiven fordert, hat der AStA der Humboldt-Universität jegliche Interessenvertretung aufgegeben und hält allein die Forderung danach für verantwortungslos. Aus der Hochschulrektorenkonferenz ist zu hören, dass die »neue Normalität« sehr viel Digitallehre beinhalten wird. Die Tafel in Cottbus »begrüßt« als neue Normalität derweil immer mehr Studenten unter ihren »Besuchern«.

Nicht nur wird das akademische Leben immer mehr zu einer Laptopexistenz für jene, die es sich noch leisten können, es ist zudem noch immer ein wilder Hasard. Ein Hackerangriff legte vor ein paar Wochen die digitale Infrastruktur der Technischen Universität Berlin lahm, teils bis heute.

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