Der traurige Schlussakkord

Nach 30 Jahren steigt Schalke aus der Bundesliga ab. Ein riesiger Schuldenberg macht die Rückkehr schwierig

  • Andreas Morbach, Gelsenkirchen
  • Lesedauer: 4 Min.

Gerald Asamoah ist ein friedliebender Mensch. Nach dem vierten Schalker Bundesliga-Abstieg kochte der sonst so lebenslustige Mann aber innerlich vor Wut und Enttäuschung. Das 0:1 in Bielefeld besiegelte den Gang des Revierklubs in die Zweitklassigkeit - und angesichts der beschämend müden Gegenwehr der königsblauen Kicker kam Asamoah noch einmal das drei Tage zuvor absolvierte »scheiß Spiel« in Freiburg in den Sinn. Er habe eine Reaktion auf jenes 0:4 im Breisgau erwartet, betonte der 42-Jährige. Und mit bebender Stimme ließ er seinen Gefühlen anschließend freien Lauf: »Wenn du Tabellenletzter bist und 13 Punkte hast - wenn da einer sagt, er hat alles gegeben … Ich weiß nicht, was ich mit der Person machen würde«, schluckte der frühere Stürmer, der mit Schalke zweimal den DFB-Pokal gewann und dort Anfang März den Job des Teammanagers übernommen hatte. Nun stand Asamoah auf dem Rasen von Aufsteiger Bielefeld und blickte auf einen gewaltigen Scherbenhaufen, den die Schalker Klubverantwortlichen unter schwierigen Bedingungen mehr oder weniger komplett neu zusammensetzen müssen.

Auf die durch und durch desaströse Saison, die nahtlose Fortsetzung zur haarsträubenden Rückrunde der vorangegangenen Spielzeit, reagierten einige Fans in der Nacht auf Mittwoch mit offener Aggression. Als der Schalker Mannschaftsbus kurz nach 1 Uhr vor der blau-weißen Arena vorfuhr, warteten dort bereits gut 500 Anhänger. Die zu Beginn gemäßigten Diskussionen wurden lauter, es flogen Eier, die Polizei bestätigte am Morgen Berichte über fliehende Spieler.

Die Jagdszenen im Revier waren der traurige Schlussakkord in einem zehn Jahre währenden Abstieg auf Raten. Hätte es den abstrusen Plan einer Super League vor einer Dekade gegeben, wäre der FC Schalke zumindest in den Dunstkreis der Kandidaten gerückt. Der siebenmalige deutsche Meister stand 2011 im Halbfinale der Champions League, holte in derselben Saison mit Spielern wie Raúl, Manuel Neuer, Benedikt Höwedes oder Jefferson Farfán und mit Ralf Rangnick als Cheftrainer den DFB-Pokal. Zwölf Monate später wechselte Torwart Neuer, gebürtiger Gelsenkirchener, für 22 Millionen Euro zu den Bayern. Vor sechs und fünf Jahren folgten mit Julian Draxler (35 Millionen, Wolfsburg) und Leroy Sané (50 Millionen, Manchester City) zwei weitere Megatransfers. Dass auf dem FC Schalke aktuell trotzdem Verbindlichkeiten in Höhe von 217 Millionen Euro lasten, zeigt, wie schlecht dort in der jüngeren Vergangenheit gewirtschaftet wurde. Entsprechend schwer sind die Startbedingungen in der Zweiten Liga, mit deutlich niedrigeren TV-Einnahmen als zuletzt - und einem Team, dessen Zusammensetzung derzeit nur bruchstückhaft zu erkennen ist.

»Das wird ein Long-Distance-Run. Da brauchen wir die fußballerischen Fähigkeiten - aber wir brauchen auch Mentalität und resistente Spieler, die unter Druck performen können«, betonte der neue Sportvorstand Peter Knäbel schon bei seiner Inthronisierung vor drei Wochen. Damals standen die Gelsenkirchener bereits mit eineinhalb Beinen im Paternoster nach unten. Seit Dienstagabend um 22.22 Uhr sind sie nach 30 Jahren Bundesliga endgültig wieder ins Unterhaus weitergereicht worden.

Dort erwartet die Schalker ab dem Spätsommer eine Umgebung, die Dimitrios Grammozis vertraut ist. Beim VfL Bochum, der in Kürze den Schalker Platz in der Beletage einnehmen könnte, war er ein Jahr Co-Trainer des Zweitligateams. In Darmstadt übernahm er im Februar 2019 dann erstmals als Chefcoach und verpasste mit den Südhessen vor einem Jahr nur knapp die Relegationsspiele zur Bundesliga.

Seit März ist Grammozis Übungsleiter auf Schalke, in Bielefeld machte er jetzt seine Vorstellungen über den anstehenden Neuaufbau deutlich. »Ich kenne die 2. Liga und weiß, was auf uns wartet«, betonte der 42-Jährige, der »eine Mannschaft auf die Beine stellen will, auf die die Fans wieder stolz sein können - und die dieses Wappen wieder würdig vertritt«. Von den Fußballern, die den Verlust der Erstklassigkeit in Bielefeld fast über sich ergehen ließen, werden - das lassen Grammozis’ Worte erahnen - dann nicht mehr viele übrig sein. Den Mainzer Danny Latza (31) hat Sportchef Knäbel als künftigen Führungsspieler bereits zum S04 zurückgeholt. Angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage des Vereins will er zudem künftig »noch mehr als zuvor« auf den Nachwuchs setzen. Gerald Asamoah dürfte das freuen.

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