Künstler haben das Recht aufzutreten

Deutsche Orchestervereinigung lobt Berliner Pilot-Projekt

  • Lesedauer: 3 Min.

Die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) kritisiert flächendeckende Schließungen von Konzerthäusern, Theatern und Museen und fordert trotz steigender Inzidenzzahlen in einzelnen Kommunen und Kreisen differenzierte Öffnungsstrategien auf lokaler Ebene. Mit deren Geschäftsführer Gerald Mertens sprach Lukas Philippi vom Evangelischen Pressedienst (epd).

Sie haben jüngst von einem »Skandal« und von »politischer Ignoranz« gesprochen, weil es in den Bundesländern in der Pandemie bislang keine gesonderten Strategien für den Kulturbereich gebe. Dabei schreibt das Infektionsschutzgesetz vor, dass der Bedeutung der Kunstfreiheit ausreichend Rechnung getragen werden muss.

Der Bundestag hat am 18. November 2020 erst auf Druck des Deutschen Kulturrats und der DOV zum ersten Mal überhaupt in die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes im Paragraf 28 a eine eigenständige Regelung für den Kulturbereich aufgenommen. Der lief vorher unter »Freizeit«. Wir haben damals alle Hebel in Bewegung gesetzt. Der Bundestag hat die Neuregelung dann auch damit begründet, dass der Werk- und der Wirkbereich der Kunstfreiheit gesondert geregelt werden muss und es eine Abwägung bei Einschränkungen dieses Grundrechtes geben muss.

Offensichtlich ist diese Novellierung noch nicht bis zu den Entscheidungsträgern in den Staatskanzleien durchgedrungen.

Wir haben nach einer Umfrage in den Ländern mit Entsetzen festgestellt, dass so gut wie kein Bundesland in jüngster Zeit eine solche Abwägung vorgenommen hat. Dafür habe ich null Verständnis. Musiker und Künstler haben als die Grundrechtsträger erst einmal einen Anspruch darauf, ihre Tätigkeit auszuüben. Alle pandemiebedingten Einschränkungen müssen deshalb auf deren Zulässigkeit hinterfragt werden und verhältnismäßig sein. Es ist doch ein Unterschied, ob ich einen Landkreis mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 500 Neuinfektionen habe - und deshalb die Kultureinrichtungen nicht öffnen kann - oder eine Stadt, deren Sieben-Tage-Inzidenz bei unter 30 Fällen liegt.

Sie plädieren also für lokal differenzierte Öffnungsstrategien?

Natürlich. Das ist eine Abwägungsfrage. Dort, wo die Inzidenzwerte extrem hoch sind, wird es schwierig, Theater oder Konzerthäuser zu öffnen. Dort, wo die Werte extrem niedrig sind, da muss eine Öffnung möglich sein. Es darf nicht sein, dass auf Länderebene pauschal gesagt wird, ab dem Inzidenzwert X ist flächendeckend Schicht im Schacht. Das ist aus meiner Sicht nicht zulässig.

Fühlen Sie sich von den politisch Verantwortlichen nicht wahrgenommen?

Ehrlich gesagt fragen wir uns, was wir noch tun können. Wir haben an die 16 Staatskanzleien geschrieben, an die 16 Gesundheitsministerien, bekommen aber kaum Feedback. Das wird schlicht und ergreifend ignoriert. Die Kulturpolitiker auf Länderebene wollen natürlich auch mehr öffnen, stoßen aber in den jeweiligen Kabinetten auf Widerstand.

Was halten Sie von dem Berliner Pilotprojekt »Testing«, an dem unter anderem zwei Theater, zwei Opernhäuser und zwei Konzerthäuser teilnehmen, um die logistische Machbarkeit von Veranstaltungen auszuprobieren?

Das Pilotprojekt geht genau in die richtige Richtung, weil damit gezeigt wird, dass trotz einer höheren Inzidenz mit einem genauen Test- und Hygienekonzept Kultur wieder zugelassen werden kann, ohne dass davon eine Gefährdung ausgeht. Die Konzepte liegen alle schon lange vor. Inzwischen habe ich einen Hals wie eine Keksdose, dass diese Überlegungen bei der Grundrechtsabwägung überhaupt keine Rolle spielen.

Warum fordern Kultureinrichtungen unbedingt eine Sonderregelung? Andere Bereiche sind genauso hart betroffen.

Kultureinrichtungen haben einen Grundrechtsschutz. Das unterscheidet sie eben etwa von Restaurants, aber auch von den Kirchen.

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