Lesbisch im Altersheim

Ein Verband will die Bedürfnisse homosexueller Seniorinnen in den Fokus rücken

  • Josefine Körmeling
  • Lesedauer: 4 Min.

«Lesbische alte Frauen sind in ihrer Sichtbarkeit komplett unterrepräsentiert. Es ist, als ob es sie gar nicht gibt», sagt Reingard Wagner vom Dachverband «Lesben und Alter». Und das, obwohl homosexuelle Frauen Schätzungen zufolge rund zehn Prozent der Frauen mit Pflegebedarf ausmachen.

Der Verband hat sich diese Leerstelle zur Aufgabe gemacht und will die besonderen Bedürfnisse thematisieren, die lesbische Frauen in der Altenpflege haben. Im Rahmen der brandenburgischen Frauenwoche organisierte der Verband am vergangenen Wochenende einen Workshop zum Thema «Lesbische Frauen - (k)ein Thema in der Altenpflege», der zur Vernetzung und zum Austausch einladen sollte. Mehr als 30 Menschen tauschten sich während einer Online-Diskussion zu dem Thema aus und sprachen über konkrete Probleme, Handlungsmöglichkeiten und Bedürfnisse im Bereich der Pflege.

Besondere Pflegebedürfnisse ...

Bislang gibt es keine konkreten Erhebungen über lesbische Frauen in der Altenpflege. Sicher ist aber, dass die besondere Biografie älterer Lesben ihre Bedürfnisse im Alter beeinflusst. «Die Bandbreite geht von ›nur von lesbischen Frauen gepflegt werden‹, bis hin zu ›mir ist es egal‹, sagt Felicitas Drubba, die sich als Pflegefachkraft im Vorstand des Vereins Lesben und Alter engagiert. Daneben gebe es auch den Wunsch nach Pflegeeinrichtungen, in denen lesbische Frauen gemeinsam leben können. »Für mich wäre es wichtig, sich auch im Alter nicht ständig erklären zu müssen. Kontakt zu anderen Gruppen und lesbischen Organisationen zu haben, die mich verstehen, das ist einfach bereichernd«, sagt Wagner vom Dachverband dazu.

In dem Workshop werden Modellprojekte in Deutschland vorgestellt, die sich mit dem Thema lesbisches Leben in der Altenpflege beschäftigen. Zum Beispiel das AWO-Projekt »Queer im Alter«, das ein Konzept entwickeln will, wie Altenhilfe-Einrichtungen für die Bedürfnisse von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans-, Inter* und queeren Menschen (LSBTIQ*) sensibilisiert werden können. Dies soll zunächst an fünf bundesweiten Pflegestandorten der AWO modellhaft umgesetzt werden. Ein weiteres Beispiel ist das in Berlin entwickelte Qualitätssiegel »Lebensort Vielfalt«, das die Inklusion sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Alten- und Pflegeeinrichtungen zertifiziert. Und Einrichtungen dabei unterstützt, eine LSBTIQ*-sensible Pflege einzurichten.

Dem Verband »Lesben und Alter« ist es wichtig, die besonderen Bedürfnisse lesbischer Frauen innerhalb dieser Gruppe von zu betonen. »Denn eine Lesbe hat nun mal ein anderes Lebenskonzept als ein Schwuler«, sagt Pflegekraft Drubba. Deshalb sei es wichtig, Wohnprojekte einzurichten, die Pflegemöglichkeiten explizit für lesbische Frauen anbieten.

In Berlin ist ein solches Projekt in Planung. Organisiert von »Rat und Tat«, einer offenen Initiative lesbischer Frauen, soll 2024 ein Lesben-Wohnprojekt eröffnen, das mit mehreren Wohneinheiten, einem Kiez-Café und einem Veranstaltungssaal lesbischen Frauen einen Raum zum Leben und zur Vernetzung ermöglichen soll. Eine integrierte Pflegegemeinschaft soll generationenübergreifendes Wohnen fördern. Seit zehn Jahren wird an diesem Projekt gearbeitet. Die Stadt Berlin hat für die Umsetzung ein Grundstück in Berlin Mitte zur Verfügung gestellt. »Da ist ein politischer Wille zur Veränderung in Berlin sichtbar, um Räume speziell für lesbische Frauen zu schaffen. Das finden wir wirklich gut«, sagt Wagner zu dem Projekt, das von »Lesben und Alter« unterstützt wird.

... und weniger Geld im Alter

Ein anderes wichtiges Thema, das den Verband beschäftigt, ist die prekäre Rentensituation, die lesbische Frauen vermehrt betrifft. Die bekannte Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen spiegelt sich in der Alterssicherung zugespitzt wider. »Vor allem lesbische Frauen, die jetzt in Rente gehen, sind armutsgefährdet«, sagt Wagner. Neben geringeren Karrierechancen, die sie als Frauen gehabt hätten, blieben ihnen auch die Möglichkeiten weiterer Altersabsicherung durch Heirat und der Anspruch auf Witwenrente verwehrt.

Diese mehrfache Diskriminierung im Alter - als Frau und als Lesbe -, habe die Politik nicht im Blick, erklärt Drubba. Der Workshop sollte einen Auftakt bieten, um das Thema weiter in die Öffentlichkeit zu bringen. Denn: »Wir möchten unser Leben bis zum Ende an unseren Bedürfnissen orientiert leben können«, so Drubba.

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