Er schwankte nie
Die Welt heiterer darstellen, als sie ist - dem Schauspieler Herbert Köfer zum 100. Geburtstag
Das ist die Erotik der späten Jahre: Zwar gehen die Hände noch zu den Schenkeln, aber es sind bevorzugt die eigenen. Ja, sich auf die Schenkel klopfen. Niemanden mehr »anmachen«, aber kräftig ablachen. Gründe gibt’s genug. Gute Gründe auch: Auftritt Herbert Köfer. Ein Spaßmacher, ein Komödiant, eine lustige Person. Ein Gernbeschäftigter im Grobgebiet der Film- und Fernsehunterhaltung. Ohnsorg und Millowitsch im DDR-Fernsehtheater Moritzburg. Ein Mann für den Sonn- und Silvesterabend. Noch die Rentnerrolle: eine Rolle vorwärts in den freundlichen Klamauk. Er schwankte nie: Er ging ehrlich und ehrbewusst in sein Metier hinein, den Schwank. Sei es in TV-Serien, sei es im »Kessel Buntes«. Köfer bewegte sich frei im Festgelegten - aber noch dort, wo er scheinbar bloß herumhumorte, gelang ihm Meisterlichkeit.
Es gab aber auch den anderen Herbert Köfer, zu sehen in Hans-Joachim Kasprziks großartigen Fallada-Mehrteilern für das DDR-Fernsehen. Weimarer Republik, nahende Nazizeit. Der Gutsverwalter Herr von Studmann in »Wolf unter Wölfen«. Köfer gab einen Ordnungsmenschen der beängstigenden Gehorsamkeitstalente. Kitt in jedem Konflikt. Soldatisch in jeder Regung. Nicht Blut zirkuliert im Körper, sondern Wasser - das all jene Mühlen antreibt, die den Menschen in Kriegen und Kapitalverhältnissen zermahlen. Köfer schien sein Spiel geradezu einzubalsamieren mit dem Talg des traurigst Gefügigen. Studmann bejaht alle Pflichten, die ihm das Schicksal zufügt, so, wie man jemandem Wunden zufügt - aber er fragt nie nach den Mächten, die hinter diesem Schicksal stehen. Erstaunlich und erschütternd (erstaunlich, weil so erschütternd), wie Köfer sich ins Unangenehme steigerte, ohne dass ein Grunderbarmen mit dieser Figur schwand - und wie er dieses Erbarmen auf einem Niveau hielt, das in keinem Moment die Erbärmlichkeit verwischte.
Im anderen TV-Klassiker, »Kleiner Mann - was nun?«, sah man Köfer als Verkäufer in jenem Warenhaus, wo auch der unglückliche Pinneberg des Arno Wyzniewski Arbeit sucht. Köfers Typ zeigt, was Pinneberg nie schafft: Er schleicht und schlängelt, steht selbst unter ständig bösem Druck und ist von daher wach wie eine Viper. Denunziatorische Freundlichkeit. Jedes Lächeln ein Gruß des Messers, das gerade zustößt. Ein Original der Konkurrenzgesellschaft, die Leistung zum Folterinstrument macht. In diesem Menschen, wie ihn Köfer verkörpert, steckte Prophetie. Der Kerl ist ein ölglatter, hässlicher Vorbote jener schleimigen Kultur, die heute auf solche Sätze hört wie: »Was kann ich für Sie tun?« oder »Ich freu mich auf Sie!« Auch der SS-Mann Kluttig in Frank Beyers »Nackt unter Wölfen« oder sein anpassungsbereiter Werkmeister Barberino in »Krupp und Krause« befestigten das Bild eines präzisen Darstellers, dessen Gestalten nicht so sehr hartgesotten, sondern eher weichgesotten waren. Weichgeklopft von der Feigheit, von der Mürbekraft der Karriereaussichten.
Köfer glänzte als Porträtist einer für das Wölfische so gefährlich verführbaren Biederkeit, und wenn man diesen Akteur so einmal gesehen hatte, dann wusste man um eine Qualität, die auch alle Wirkungen des polternden, possenfrohen Volksschauspiels gütig einfasste. Ein Maskeradenmatador. Spielte sich bei der Defa aus Brigaden in Banden, kroch in Bücklinge, warf sich auf zu den Barden. Bis zu Ende erzählen durfte sich die Geschichte des Charakterdarstellers Köfer nie, aber das wenige Große, das zu gestalten ihm vergönnt war, prägte sich ein. Ein Liebling des ostdeutschen Publikums, der dem Spiel huldigte, als sei es schon das Leben. Es ist das Leben - zumindest dessen unsterbliche Steigerungsform -, das bei Köfer nicht nach der Gewichtigkeit von Anlässen fragte, um sich loszureißen von den Normteilen der Existenz.
Kennzeichnend sein Beginn: Der gebürtige Berliner, der die Schauspielschule des Deutschen Theaters besuchte, war 1952 der erste Nachrichtensprecher des Deutschen Fernsehfunks; eine freilich nur kurze Karriere. Denn ihm wurde bedeutet, er spreche die Meldungen nicht, er spiele sie. Meldete sich da die frühe, berufsbildende Neigung, die Welt zumeist heiterer darzubieten, als sie ist? Ein schnarrendes »von Studtmann!« rief ihn auf den Plan, und so, wie Wolfgang Langhoff als Rittmeister Pagel diesen Ruf herausknallte, ein trockenes bellendes Befehlsgeschoss, musste nun ein Mann ins Bild kommen, der unter solchen Befehlen Hund und Mensch zugleich war. Gefolgsknecht mit letztbewahrtem Würdeklecks am Charakter. Köfer spielte diesen von Studtmann in Hans-Joachim Kasprziks Fallada-Verfilmung »Wolf unter Wölfen«, deutsche Fernsehgeschichte aus Adlershof. Zuletzt war Köfer in dem Anfang Februar ausgestrahlten Fernsehfilm »Krauses Zukunft« zu sehen. Er schwankt noch immer nicht. An diesem Mittwoch wird Herbert Köfer, geboren 1921, 100 Jahre alt.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.