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Verzögerte Konkurrenz für den Test-Goldstandard
Antigen-Schnelltests stehen zur Verfügung, aber noch fehlen Studien, die eine sichere Handhabung durch Laien nachweisen
In der vergangenen Woche wurde die Medizinprodukte-Abgabeverordnung in dem Sinne geändert, dass nun auch Privatpersonen Corona-Antigenschnelltests in Apotheken kaufen und sich selbst mit diesen testen können. Bislang durften solche Tests auf Krankheitserreger nur durch Fachpersonal eingesetzt werden, die einzige Ausnahme waren HIV-Tests. Die jetzige Ausnahmeregelung für die Coronatests gilt jedoch nur »im Rahmen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite«.
Der Haken bis jetzt: Die einzelnen Produkte müssen erst noch für die »Eigenanwendung durch Laien« zugelassen werden. Dazu gehören auch angepasste Gebrauchsinformationen. Eigentlich sind für dieses Anforderungspaket auch Studien nötig, an denen es offenbar mangelt. Der Ausweg wäre eine Sonderzulassung - doch diese wurde Fachmedien zufolge bis letzten Freitag noch von keinem Hersteller beantragt. Andererseits gibt es Informationen, dass die ersten Test doch schon im Februar zum Verkauf freigegeben werden können.
Auf der Webseite des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) findet sich schnell eine Liste von »Antigen-Tests zum direkten Erregernachweis des Coronavirus«, sie umfasst aktuell schon über 160 Seiten mit je 25 Einträgen. Das heißt aber weder, dass diese Tests, die international produziert werden, schon durchgängig vom hier ebenfalls zuständigen Paul-Ehrlich-Institut (das auch für die Zulassung von Impfungen zuständig ist) überprüft wurden, noch dass sie für die Anwendung durch Laien zertifiziert sind. Bei Ärzten werden Antigen-Schnelltests als Selbstzahlerleistung für im Schnitt 50 Euro angeboten. Apotheken geben sie an Arztpraxen und Krankenhäuser für rund 10 Euro ab, im Internet sind sie für diese Einrichtungen ab sechs Euro erhältlich.
Jedes weitere Zögern bei der Zulassung ist auch angesichts der Situation in einigen Nachbarländern unverständlich. In Österreich etwa seien bereits fünf Millionen dieser Tests für die Schulen zugelassen worden, so kritisieren die Grünen. Auch in Deutschland wurde schon beschleunigt: Apotheken dürfen Schnelltests an Heime, Schulen und Obdachloseneinrichtungen abgeben, der Arztvorbehalt wurde aufgehoben. Die Anwendung ist inzwischen auch durch Apotheker oder pharmazeutisches Personal erlaubt.
Antigentests weisen nach, ob eine akute Sars-CoV-2-Infektion vorliegt, unabhängig davon, ob der Betroffene Symptome zeigt. Nicht feststellen lässt sich damit, ob Testpersonen früher schon infiziert und Antikörper gebildet haben. Grundsätzlich gilt: Alle Tests liefern nur Momentaufnahmen.
Bei einem positiven Ergebnis muss als nächstes ein Arzt kontaktiert werden, der zur Absicherung dann einen PCR-Test durchführt. Letzterer ist sensibler, schlägt bereits bei einer geringeren Viruslast an und gilt nicht nur Labordiagnostikern und Virologen als Goldstandard. Ein negatives Ergebnis beim Antigen-Schnelltest wiederum stellt aber auch keinen Freifahrtschein dar: Hygiene- und Abstandsregeln gelten auch jetzt.
Bei der Entnahme des Testmaterials gibt es bei den Selbsttests unterschiedliche Möglichkeiten: Selbst-Nasen- oder Rachenabstrich, die Gurgel- oder die Spuckvariante. Beim Nasenabstrich soll es genügen, den Tupfer an den Wänden des vorderen Nasenbereichs zu bewegen. Auch Gurgel- und Spucktests vereinfachen die Entnahme, es muss kein Abstrich tief in Nase oder Rachen gemacht werden. Bei einem Gurgeltest ist wichtig, wirklich zu gurgeln und die Lösung nicht nur im Mundraum zu bewegen. Manche Gurgeltests sind durch einen einfachen Abstrich im vorderen Nasenbereich zu ergänzen, ehe die Lösung aus Bindeproteinen zugefügt wird. Das Gemisch zeigt in drei bis fünf Minuten mit einer Farbreaktion, ob eine Infektion vorliegt oder nicht. Für diese Art von Test erwarten Hersteller eine Spezifität und Sensitivität von mehr als 95 Prozent.
Ein Spuck- oder Sputumtest ist noch einfacher anzuwenden - aber es geht nicht darum, einfach Speichel mit der Testlösung zusammenzubringen. Es muss Schleim aus den Atemwegen hoch gehustet werden. Diese Art von Test soll eine Sensitivität von 92 Prozent und eine Spezifität von 100 Prozent aufweisen. Bei den Schnelltests gehen Ärzte jedoch insgesamt nur von einer Sensitivität zwischen 70 und 85 Prozent aus.
Insbesondere Hersteller als auch Labormediziner fordern die Integration von Selbsttests in die nationale Teststrategie. Dazu gehören staatliche Abnahmegarantien, die eine Ausweitung der Produktion ermöglichen würden. Viele Schnelltests, so die Idee, könnten dazu beitragen, dass viele Infizierte erkannt werden und anschließend in Quarantäne gehen oder bei Symptomen schnell versorgt werden. Noch wichtiger sei das wegen der Verbreitung von Virusmutationen.
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