Die Winterdepression der Borussia

Nach der Niederlage gegen Leverkusen flammt in Dortmund die Mentalitätsdebatte wieder auf

  • Holger Schmidt, Leverkusen
  • Lesedauer: 3 Min.

Beim Warten aufs Interview musste Edin Terzic mit anhören, wie TV-Experte Dietmar Hamann ein vernichtendes Urteil über seine Mannschaft fällte. »Disziplinlos, herzlos und charakterlos« sei die Mannschaft von Borussia Dortmund, zeterte der Ex-Nationalspieler im Studio. Trainer Terzic lauschte - und statt zu widersprechen, befeuerte er danach die Debatte um die mangelnde Mentalität des BVB-Teams.

Mit der Körpersprache in der ersten Halbzeit sei er »gar nicht einverstanden« gewesen, sagte der 38-Jährige nach dem 1:2 (0:1) bei Bayer Leverkusen, durch das sich Dortmund vorerst aus dem Meisterrennen verabschiedet hat. »Wir haben uns teilweise zu viel auf unser Talent verlassen und uns zu wenig gewehrt«, sagte Terzic. Schon nach sechs Spielen scheint der junge Trainer an seinem Team zu verzweifeln. Weswegen Hamann noch nachlegte, die Mannschaft müsse aufpassen, »dass es nicht untrainierbar wird«.

Nun ist eine knappe Niederlage bei einer wirklich starken Leverkusener Mannschaft eigentlich keine Schande. Doch wie der BVB sich in einem wegweisenden Spiel eine Halbzeit lang fast schon vorführen ließ, zudem nach dem Ausgleich durch Julian Brandt (67.) seine Chance nicht beim Schopfe packte und am Ende durch ein »sehr doofes Gegentor« (Terzic) noch verlor, war alles andere als meisterlich. Dass die spannendste Teenagertruppe Europas am Ende durch ein Tor des 17-jährigen Leverkuseners Florian Wirtz unterlag (80.), war eine Ironie am Rande.

Der Titel wird irrelevant

Kapitän Marco Reus, der eigentlich vorangehen sollte, stand wieder ein wenig sinnbildlich für das Scheitern. Der 31-Jährige, der beim 1:1 gegen Mainz einen Elfmeter verschossen hatte, wurde bei der Jagd nach dem Ausgleich kurz vor Schluss gegen U 23-Nationalspieler Steffen Tigges ausgewechselt. Seinem Team fehle »von allem etwas«, analysierte auch Reus danach schonungslos. »Wir müssen in allen Bereichen mehr investieren, um erfolgreicher zu sein. Und wir müssen in der Rückrunde mehr Punkte holen. Sonst laufen wir Gefahr, die Saisonziele zu verpassen.«

Das Mindestziel des Vizemeisters ist die Qualifikation für die Champions League. Doch natürlich schielen die Dortmunder immer auch in Richtung Titel. Doch gerade in dem Jahr, in dem die entkräfteten Bayern schwächeln, ist der BVB kein Konkurrent. Auf die Frage, ob der Titel schon verspielt sei, fiel Reus ein Dementi schwer. »Die Meisterschaft hat weder vor noch nach dem Spiel eine relevante Rolle gespielt«, sagte er und blickte auf den schweren Rückrundenauftakt am Freitag bei seinem ehemaligen Klub Mönchengladbach: »Da müssen wir dreifach punkten, sonst verlieren wir den Anschluss.«

Sechs Spiele hat die Borussia in dieser Hinrunde verloren, eines weniger als in der gesamten letzten Saison. Weswegen auch Brandt als einer der wenigen Lichtblicke an diesem Dienstagabend nicht vom Titel reden wollte. »In 17 Spielen kann viel passieren«, sagte der Nationalspieler. Terzic ergänzte: »Mit Ergebnissen kann man die Tabelle beeinflussen. Nicht mit Reden.« Gesprächsbedarf gibt es in Dortmund dennoch einigen. Und Terzic versprach schon mal: »Wir werden es nicht akzeptieren, dass wir versuchen, den Ball immer noch mal quer zu spielen, um ein unglaublich schönes Tor mit 48 Stationen zu schießen.«dpa/nd

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