Der schönste Tag im Jahr
Wie es ist, Heiligabend Geburtstag zu haben
Ich liebe Weihnachten. Was vor allem daran liegt, dass ich Heiligabend Geburtstag habe. Und bevor mich hier irgendwer bemitleidet, von wegen, dass es nur einmal Geschenke gibt und so weiter - ich habe Erinnerungen, die mir keiner nehmen kann: Für ein Kind gibt es nichts Schöneres, als an diesem Tag geboren zu sein. Ich bin das beste Weihnachtsgeschenk gewesen, das meine Mama je bekommen hat.
Mag sein, dass mein heutiger Narzissmus hierin seine Ursache hat. Den Weihnachtsmann gab es nicht, mit der Kirche hatten meine Eltern nichts am Hut - ergo war der ganze Adventszirkus, all die Lieder, Lichter und Lebkuchen, für mich bestimmt. Die Welt zählte die Tage bis zu meinem Tag! Und überall, wo meine Mutter mir hinkam, sei es auf Ämtern oder bei der Ärztin: Sobald die Menschen von meinem Geburtstag erfuhren, waren sie glücklich, strichen mir übers Haar und riefen: »Ein Christkind!« Allein der Umstand, dass es mich gab, zauberte ihnen ein Lächeln ins Gesicht. Die ganze Vorfreude auf Weihnachten, sie galt mir.
In der Nacht zum 24. Dezember hat mein Vater mich dann geweckt, sodass ich mir schon mal die ersten Geschenke anschauen sollte. Ich hab’s geliebt! Am Morgen ging es weiter: Die Großeltern, die bei uns im Ort wohnten, kamen und beschenkten mich mit Süßigkeiten, Spielzeug und jeder Menge Umarmung: »Unser Christkind!«, hieß es. Dass ich keine Geburtstagsfeier mit Freunden bekam, wie andere, fiel nicht weiter ins Gewicht; so viele Freunde hatte ich ohnehin nicht. Schon am Nachmittag gab es wieder Geschenke!
Und so vergingen die Jahre. In Stephan Wackwitz’ wunderbarem Essayband »Selbsterniedrigung durch Spazierengehen« heißt es, dass der Schmerz des Älterwerdens darin besteht, dass uns jeder Tag ein Stück weiter wegbringt vom Paradies der Kindheit. Und es gibt kein Zurück. Dieses Paradies aber war und ist für mich Weihnachten; in Gedanken besuche ich das Paradies, bekomme Geschenke und lasse mich von meinen Eltern umarmen.
In den letzten Jahren habe ich immer in meinen Geburtstag reingefeiert, sodass auch Freunde kamen. Unter den Geschenken war dann immer viel Klimbim, den ich nicht gebrauchen, aber Heiligabend weitergeben konnte. Das gehört dazu: An meinem Geburtstag beschenke ich meine Lieben. Auch schön.
Und selbstredend habe ich als Erwachsener irgendwann mitbekommen, dass es am 24. Dezember noch ein anderes Wiegenfest gibt. Der größte Mensch, den die Welt je gesehen hat, wurde geboren: Lemmy, der Sänger von Motörhead. Ich danke dem Publizisten Lorenz Schröter für die Inspiration: Vieles spricht dafür, dass Jesus Christus in Lemmy wiedergeboren wurde. In der Bibel steht, dass nach dem Tod Jesu am dritten Tag »ein Stein beiseitegerollt« wurde. Stein heißt im Englischen »Rock«, ergo: Rock and Roll! Und Lemmy, der leider vor ein paar Jahren gestorben ist, hat jedes seiner Konzerte mit den Worten begonnen: »We are Motörhead and we play Rock ’n’ Roll!« Halleluja!
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