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- McCartney III
Ein-Mann-Rockestra
Plattenbau
Es war Paul McCartneys Offenheit für Stile, Techniken und Experimente, durch die John Lennon und George Harrison zu ihren kreativen Höhenflügen bei den Beatles motiviert wurden. Diese grundsätzliche Aufgeschlossenheit zeichnet ihn bis heute aus. In den Siebzigern produzierte er künstlerisch und kommerziell erfolgreiche Alben mit seiner Band Wings. Die Single »Mull of Kintyre« war 1977 ein riesen Hit. In den Achtzigern landete er weitere Hits mit Partnern wie Stevie Wonder (»Ebony and Ivory«, 1982) und Michael Jackson (»Say, Say, Say«, 1983). Ende der Achtziger begann seine Re-Beatlisierung, die Mitte der Neunziger im Beatles-Anthology-Projekt und zwei wunderschönen neuen Beatles-Singles mündete. Vor fünf Jahren landete er mit Rihanna und Kanye West den Hit »Four Five Seconds«. Und mit seinem letzten Album »Egypt Station« gelang ihm vor zwei Jahren sein größter kommerzieller Erfolg seit Ende der Siebzigerjahre.
Die mit »McCartney« betitelten Alben sind Exoten. Das erste nahm er 1970 auf, als die Beatles in den letzten Zügen lagen. Das zweite, 1980 erschienene, beendete das Jahrzehnt mit den Wings. Während »McCartney I« sehr folkig und fragmentarisch klingt, ist »McCartney II« eher vom Postpunk geprägt. Und nun kommt Teil drei hinzu. Der Clou dieser Alben ist, dass der Meister alle Instrumente selbst spielt. Für den Multiinstrumentalisten McCartney kein Problem. Beim Beatles-Hit »Back in the USSR« saß ja auch Paul und nicht Ringo am Schlagzeug. Das signifikante Drumpattern zu »Ticket to Ride« spielte zwar Ringo, war aber von McCartney ausgearbeitet worden. Das geniale Solo auf George Harrisons Stück »Taxman« spielte McCartney. Egal, ob dieser Mann Bass, Gitarre, Klavier oder Schlagzeug spielt, man hört es. Auf jedem Instrument hat McCartney einen ganz eigenen Sound.
»McCartney III« ist ein Lockdown-Produkt. Manchmal klingt die Platte wie die Esher-Demos. Das sind die Aufnahmen, auf denen die Beatles 1968 mit der akustischen Gitarre Songskizzen für das »Weiße Album« festgehalten haben. »Seize the Day« gehört zu diesen Songs. Auch die Songs »Long tailed Winterbird« und »Winterbird / When Winter Comes«, die das Album als Opener und Endsong einklammern, gehören in diese Kategorie.
»Find my Way« ist ein echter McCartney-Qualitäts-Song. Ein bisschen steril und digital, aber immer noch dem Sound von »Band on the Run«, »Chaos and Creation in the Backyard« oder »Egypt Station« verpflichtet. Chorgesang und Chembalo. Wunderbar!
»Pretty Boys« beginnt als Gitarren-Zupfballade, entfaltet sich dann sehr schön, inklusive einer Mitpfeif-Hook! »Women and Wifes« ist die melancholische Klavierballade des Albums. Dafür knallt »Lavatory Lil« im Anschluss umso mehr. Ähnlich wie »Angry« auf »Press to Play«, aber besser. Sehr nah am Elvis der Fünfziger. »Deep Deep Feeling« scheint der Versuch zu sein, die Erfahrungen mit Rihanna und Kanye West alleine weiterzuentwickeln. Ist das ein neues Genre: Alt-Herren-Brit-R’n’B, oder so? »Got To Get You Into My Life« für 2020? Das Stück nimmt immer mehr Fahrt auf und biegt dann in Richtung Psychedelic ab. »Slidin« ist eine »Helter-Skelter«-Riff-Dampfwalze. McCartney als Ein-Mann-Rockestra. Irgendwo hallt »Shock of the Lightning« von Oasis nach. Bei »Deep Down« schlägt der digitale Puzzlecharakter der Platte ins Negative um. Die schlimmen Synthiebläser können den öden Song nicht wirklich retten.
Aber auch mit dieser Platte bleibt es dabei: Es gibt keine einzige schlechte McCartney-Platte. Sie sind entweder supergut, gut oder ganz okay. »McCartney III« ist gut.
Paul McCartyney: »McCartney III« (Capitol/Universal)
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