Neubaustreik bei Projektentwicklern

Grünen-Wohnungspolitikerin will die Lücke mit gemeinwohlorientiertem Wohnungsbau füllen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Landesverband Berlin-Brandenburg des Bundesverbands der privaten Immobilienwirtschaft (BFW) zeigt sich am Montag regelrecht alarmiert. »Zunehmend wird dadurch der dringend benötigte Neubau in der Hauptstadt gebremst«, wird gewarnt. Fast zwei Drittel der bauenden Unternehmen spürten laut einer aktuellen Umfrage des Verbands die negativen Auswirkungen des Mietendeckels. 75 Prozent geben demnach an, wegen der Wohnungspolitik des Berliner Senats ihre geschäftlichen Aktivitäten überwiegend nach Brandenburg verlagert zu haben, 38 Prozent wanderten in andere Bundesländer ab.

»Schon jetzt haben die Mitgliedsunternehmen des BFW wegen der unabsehbaren Auswirkungen des Mietendeckels geplante Neubauvorhaben in einem Umfang von mehr als 9000 Wohnungen zurückgestellt«, erklärt Landesgeschäftsführerin Susanne Klabe. Die Hälfte der Unternehmen wolle künftig vornehmlich Eigentumswohnungen bauen.

»Dieser Markt ist, abseits vom fehlenden Bedarf für die soziale Wohnraumversorgung Berlins, vollkommen gesättigt. Die angebotenen Eigentumswohnungen stehen inzwischen rund drei Jahre auf den entsprechenden Plattformen, weil sich keine Käufer finden«, sagt Katrin Schmidberger, mietenpolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. »Der größte Teil des privaten Neubaus ging als Eigentumswohnungen oder sehr teure Mietwohnungen sowieso am Bedarf vorbei«, meint Schmidberger. Man dürfe aber nicht verleugnen, dass es die Genossenschaften auch treffe und diese manche wichtigen Neubauprojekte eingestellt hätten, so die Politikerin weiter. »Da müssen wir als Land Berlin eben auch finanziell kompensieren, um diese Vorhaben weiter zu ermöglichen«, findet die Grünen-Politikerin. Schließlich sei ein »Paradigmenwechsel in der Berliner Wohnungspolitik« erklärtes Ziel von Rot-Rot-Grün. »Es geht auch ein bisschen darum, die Spreu vom Weizen zu trennen.«

Fast schon absurd mutet die Ankündigung der Konzerne Deutsche Wohnen und Vonovia an, dass wegen des Mietendeckels keine neuen Neubauprojekte in Angriff genommen werden sollen. Denn bisher fanden diese - wenn überhaupt - nur im Promillebereich statt.

»Der vermeintliche Mietendeckel entpuppt sich als Neubaudeckel. Indem er den Neubau rasiert, untergräbt der Senat das Fundament eines stabilen Wohnungsmarktes«, kommentiert der Berliner CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner und designierter Spitzenkandidat der Partei bei der Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2021 die Mitteilung des BFW.

Die Deutsche Bank hatte allerdings bereits im Februar eine Analyse der möglichen Auswirkungen des Mietendeckels veröffentlicht. Große Panik lässt sich daraus nicht herauslesen. »Risikoaverse, kurzfristig orientierte Investoren haben Anreize, den Berliner Markt zu verlassen«, heißt es dort. Doch für langfristig orientierte Investoren sei die Hauptstadt »aufgrund des wirtschaftlichen Superzyklus« weiterhin ein attraktiver Markt. Die Bank rechnet damit, dass der Mietendeckel maximal um fünf weitere Jahre verlängert werden dürfte - spätestens 2030 wäre also Schluss damit. Die große Aufregung der Branche rührt wohl eher aus der Erwartung, dass die Entwicklungen in Berlin »großen Einfluss auf die Wohnungspolitik in Deutschland haben« können.

»Es ist ein Glücksfall für die Berliner Mieterschaft, dass wir in Anbetracht der wirtschaftlichen Krise aufgrund der Covid-19-Pandemie hier einen Mietendeckel haben«, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins angesichts der am Montag in Kraft getretenen zweiten Stufe des Gesetzes.

Das Portal Immowelt meldet, dass der mittlere Angebotspreis für Berliner Mietwohnungen im Bestand in den ersten zehn Monaten dieses Jahres im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum um acht Prozent gefallen ist - von 11,10 auf 10,20 Euro pro Quadratmeter nettokalt. Bei den nicht preisregulierten Neubauwohnungen gingen die Angebotspreise um stattliche zwölf Prozent nach oben - auf nun 16 Euro pro Quadratmeter nettokalt. Gleichzeitig sinke das Angebot an Bestandswohnungen.

Mieterschützer Reiner Wild geht davon aus, dass das sinkende Angebot unter anderem an der gesunkenen Anzahl von Kündigungen durch Mieter liegt. »Die Leute müssen sich nicht mehr wegen Mietsteigerungen nach günstigeren Wohnungen umsehen«, sagt er zu »nd«. Dazu könnte noch der Effekt kommen, dass die nun durch den Mietendeckel reduzierten Mieten dazu führen, dass Wohnungen so schnell Interessenten finden, dass sie gar nicht mehr inseriert werden müssen. Dieses Phänomen ist schon seit Jahren bei landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften zu beobachten.

Dass Investoren die Hauptstadt nun generell meiden, ist nicht zu beobachten. Der skandinavische Wohnkonzern Heimstaden hat im laufenden Jahr deutlich über 4000 Wohnungen erworben. Und die im Schweizer Steuerparadies Zug sitzende Empira-Gruppe hat Anfang November den Kauf von 416 Wohnungen in Staaken bekanntgegeben. »Da sich die Empira AG auf fast ausschließlich renditestarke Immobilien stürzt, ist das Schlimmste zu befürchten«, kommentiert den Kauf der Spandauer Mieterverein für Verbraucherschutz. Der Sanierungsstau halte an und es werde vermutlich auf Modernisierungen hinauslaufen, die zu weiteren Mieterhöhungen führten.

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