Ich brauche Sie!

Sonntagschuss: Zu gerne würde unser Kolumnist mal eine Hymne über die schönen Dinge des Fußballlebens schreiben. Aber auch in die schönsten Gedanken kracht immer wieder die blöde Realität. Nun sind Sie gefragt.

Einen wunderschönen Morgen wünsche ich, war das Wetter bei Ihnen am Wochenende auch so gut? Haben Sie das Beste aus der Virus-Klamotte gemacht, also eine schöne Radtour oder Wanderung? Waren die Nachbarn freundlich? Ja? Das freut mich! Möge auch Ihre kommende Woche voller Sonntage sein!

Vielleicht wundern Sie sich über diesen gefühligen Anfang, aber vielleicht sind Sie ja auch psychologisch geschult und merken, dass da jemand ein ganz schlechtes Gewissen hat. Ist nämlich so, und es wird Woche für Woche schlimmer. Zu gerne würde ich Ihnen ja mal wieder etwas über die schönen Dinge im Fußball berichten, über große Emotionen und kleine Freuden. Und doch weiß ich Woche für Woche spätestens am Dienstagmorgen, wovon der nächste »Sonntagsschuss« handeln wird. Denn natürlich habe ich mich am Dienstag wieder über irgendetwas aufgeregt, am Mittwoch und am Donnerstag wieder. Und dabei will ich doch nur eine Kolumne schreiben, die nach Frühlingswiese riecht und wie ein fröhliches Liedchen klingt. Und dann kommt wieder jemand und kippt eimerweise Jauche auf die Wiese ...

Zum Zeichen meines guten Willens werde ich Ihnen meine Wut darüber ersparen, dass es außer der FR, dem Tagesspiegel und ein paar anderen tatsächlich niemanden zu interessieren scheint, dass einige Bundesligaspieler, der unvermeidliche Mesut Özil und eben Antonio Rüdiger, ein Bild sympathisch finden, das das von Stiefelabdrücken verunstaltete Gesicht des französischen Präsidenten Macron zeigt. Dass Rüdiger sich bei einer DFB-Pressekonferenz glaubhaft von islamistischem Extremismus und Terror distanziert (oder sich andernfalls verpisst), wäre das Mindeste gewesen. Stattdessen durfte er in der zweiten Hälfte des Tschechien-Spiels sogar als Kapitän auflaufen.

So viel zum Reformprozess beim DFB, und ab zu dem in der Liga: Zwar gibt es doch tatsächlich Vereine in der ersten und zweiten Liga, die gemerkt haben, dass »business as usual« nicht die beste Idee sein kann, wenn um die Fußballinsel herum ein Virus Millionen von Menschen Existenzängste bereitet. Ein »Downsizing« - das ist in der Politik nicht anders als im Fußball - hätte natürlich zu Lasten der Großen gehen müssen. Der Plan, Spielergehälter und Beraterprovisionen zu kürzen, ist richtig und im Interesse auch fast aller Profivereine. Außer denen, die sich mit anderen Champions-League-Vereinen messen (Bayern, BVB, Red Bull) - und nicht mit der buckligen Verwandtschaft aus Augsburg oder Bochum. Zehn Vereine aus der zweiten Liga und vier aus der ersten haben ein Thesenpapier geschrieben, das Reformen anmahnt. Doch anstatt darüber zu diskutieren und genau das zu tun, was gefühlt 95 Prozent aller Fußballfans von der Branche erwarten, agiert der FC Bayern, als wolle er im Alleingang für all das stehen, was die Akzeptanzprobleme des Profifußballs ausmacht.

Ob Uli Hoeneß ähnlich brachial durchregiert hätte? Im Vergleich zu Karl-Heinz Rummenigge musste er einem jedenfalls wie ein Ausbund an Empathie und sozialer Verantwortung vorkommen. Rummenigge war es jedenfalls, der 14 Bundesligisten und, echt jetzt, den HSV (22 Trainer seit 2007) als einzigen Zweitligisten nach Frankfurt einlud. Die vier Bundes- und zehn Zweitligisten, die Gedanken gedacht hatten, die vorher nicht mit Rummenigge abgestimmt waren, hatten den Mann wütend gemacht. So wütend, dass er sich nicht so sprachgewandt freute wie damals beim Ribéry-Treffer (»Ich ziehe meinen Hut und sage Champs-Elysées!«), sondern die bösen, bösen Dissidenten einfach nicht nach Frankfurt am Main einlud. Wer Kindergarten in Nadelstreifen sehen will, braucht dazu nicht aufs Weiße Haus zu starren.

Sie sehen, angesichts durchgeknallter Innenverteidiger und rückgratloser Liga-Manager, die wie die Lemminge nach Frankfurt eilen, wenn der große Lippstädter von den Champs-Elysées ruft, habe ich es schon wieder nicht geschafft, eine fröhliche Wald- und Blumen-Kolumne zu schreiben. Hätten Sie Lust, mir ein bisschen zu helfen, falls mir in den kommenden Tagen wieder nichts Erfreuliches auffällt, das für 4350 Zeichen taugt? Schreiben Sie doch Ihr Fußball-Highlight der Woche an cr@christoph-ruf.de. Betreff: »Blumenwiese«. Verdammt, ich brauche Sie jetzt wirklich!

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