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Woodstock für Nazis
Was wurde aus »Bella Ciao«?
Während der gemeine Student, also ich, auf dem Sofa sitzt und seinen Hals mit der Zunge, wie jeden Abend, alert bis hypochondrisch, auf mögliche Kratzer prüft, rauschen zwischen CNN und »Tagesthemen« Videos aus Leipzig über den Bildschirm, von der bislang wohl furchterregendsten Coronaleugnungsdemo. Eines verstört mich am meisten: das Video, auf dem man mehrere Dutzend Menschen inmitten einer dichten Menge eine Polonaise tanzen sieht. Ein Woodstock für Nazis, mitten in Deutschland.
Normale Leute sind das, die da tanzen, oder eher: amtsnormal, weiß, proper, gutgelaunt. Aber keine Trommeln, keine Traumfänger, kein Eso-Gedöns; die meisten unter vierzig, einige sogar fast cool, gepierct, langhaarig, lässig eine Zigarette im Mund. Und sie tanzen nicht zu irgendeinem Lied. War das alte Partisanenlied »Bella Ciao« 2018 in einer umgearbeiteten Version des französischen DJ Hugel zum Sommerhit geworden, wurde es 2020 am Anfang der Pandemie zum Solidaritätslied mit dem hart getroffenen Italien. Das war dann der Rohstoff für einen im April veröffentlichten Remix namens »Corona Ciao«, der sich in die muntere Liste der exponentiell wachsenden Virus-Kunstwerke einreiht.
Dieses »Corona Ciao« ist nun der Dance-Track der Faschos in dem Video aus Leipzig. Sie wollen Corona nicht bekämpfen und so verabschieden, sondern nichts mehr davon wissen - ja, sie nehmen eine Infektion, in einem Akt des Körperprotzens, den man wohl nur empfinden kann, wenn man vorher nicht von den Bullen die Fresse zerlegt bekommen hat, sogar in Kauf.
Man sieht ihnen die Euphorie darüber an: über ihren (gefühlten) Mut, über das Lied, den Rhythmus, das einfach zu memorierende »Ciao, Ciao, Ciao«, das langsam von den jubelnden Rufen »Maskenfrei! Maskenfrei!« übertönt wird. Faschos sind also des Zitats fähig, der kecken Aneignung, der Sinnentstellung. Die Meme-Wars der rechtsextremen Online-Foren werden immer schon (und immer wieder) versuchsweise auf die Straße gezerrt, und viel zu oft - in ungefähr jeder zweiten Ausgabe des »Spiegels« - lassen sich bürgerliche Journalist*innen darauf ein, halten dies und das für diskutabel, begeben sich in die Froschperspektive und zeigen die Gernegroßen so, wie sie gezeigt werden wollen.
Deshalb muss man sie nicht nur in ihren Erfolgen, sondern in ihrer Lächerlichkeit abbilden: dann, wenn sie stolpern und sich einpinkeln. Und natürlich nie vergessen, dass es Nazis sind, die man da vor sich hat, egal wie sie aussehen. Wie sagte einer der im wunderbaren »Nipster«-Film Michel Abdollahis Befragten bockig: »Was hat Deutschland damit zu tun, wie man angezogen ist?«
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