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Peking schweigt und wartet ab
China hofft auf Entspannung im Verhältnis zu den USA und will Handelsabkommen neu verhandeln
Manchmal sagt ein Schweigen mehr als tausend Worte: Während die meisten Staatsoberhäupter sich mit Gratulationen an Joe Biden wenden, hat sich Chinas Parteichef Xi Jinping bislang bedeckt gehalten. Am Montag erklärte zumindest Außenministeriumssprecher Wang Wengbin, dass man Bidens Siegeserklärung »zur Kenntnis genommen« habe. Mehr war dem Regierungsvertreter nicht zu entlocken. Das Kalkül hinter der Zurückhaltung ist offensichtlich: China geht davon aus, dass der Machtanspruch Donald Trumps noch zu einem vor Gericht ausgetragenen Konflikt führen wird. Bis zum endgültigen Wahlsieg möchte man sich nicht den Eindruck der Parteinahme erwecken.
In den Leitartikeln der staatlich kontrollierten Medien hingegen lässt sich bereits vorsichtiger Optimismus vernehmen. In der »Global Times« heißt es etwa, dass die Trump-Regierung die Druckausübung gegen China als »Wahlkampfstrategie« missbraucht habe. Mit jener »rücksichtslosen Zockermentalität« sei nun Schluss. Zwar dürfe man sich nicht der Illusion hingeben, dass Biden eine Umkehr der US-chinesischen Beziehungen herbeiführen würde. Doch »ein Wechsel der Regierung könnte einige pragmatische Ansätze zur Neuausrichtung mit sich bringen«.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die größte Hoffnung liegt wohl zunächst darin, dass Peking den sogenannten »Phase One Deal« mit den Vereinigten Staaten neu verhandeln möchte. Nach anderthalb Jahren mit mehreren Runden an Strafzöllen hatten sich beide Seiten darauf geeinigt, dass China zusätzliche US-Güter im Wert von 200 Milliarden US-Dollar aufkaufen wird, um die einseitige Handelsbilanz auszugleichen. Bislang jedoch hinkt die chinesische Regierung dem Zeitplan deutlich hinterher - bis Ende September hatte man lediglich 54 Prozent der Zielsetzung erreicht. Vom Pekinger Staatsrat heißt es, dass die Importlast unrealistisch sei und man stattdessen strukturelle Veränderungen vereinbaren müsse.
Verhandlungsspielraum wäre potenziell ausreichend vorhanden. Dass Biden sowohl der Welthandelsorganisation als auch dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten würde, liegt schließlich in Chinas Interesse. Ein denkbares Szenario würde etwa lauten: Washington könnte im Gegenzug für eine Lockerung der Regeln des Handelsabkommens Zugeständnisse in Menschenrechtsfragen oder beim Schutz des geistigen Eigentums verlangen. Im Gegensatz zu Trump ist Biden schließlich ein Kenner diplomatischer Gepflogenheiten und hält auch am Verhandlungstisch gängige Konventionen ein.
Die derzeitige Konstellation ist zweifelsohne einmalig: Auf der einen Seite ist Joe Biden so vertraut mit China wie wohl kein anderer US-Präsident zu seinem Amtsantritt zuvor. Etliche Male hat er die Volksrepublik bereits besucht, von Xi Jinping wurde er zu Zeiten von US-Präsident Barack Obama 2013 gar als »alter Freund« bezeichnet. Gleichzeitig sind jedoch die Beziehungen zwischen den zwei Ländern derart angeschlagen wie zuletzt wohl während des Kalten Kriegs. Dass Biden einen Neustart mit Xi wagen würde, scheint nicht zuletzt aus innenpolitischem Kalkül unwahrscheinlich: Der künftige US-Präsident steht unter massivem Druck aus den konservativen Schichten der Bevölkerung, nicht zu weich gegenüber China zu sein.
Innerhalb der chinesischen Internetgemeinschaft hat Biden einige Fans gewinnen können. Weit über eine Milliarde Mal wurde seine Siegesrede auf dem sozialen Netzwerk Weibo angeschaut. »Genau so sollte sich ein Präsident benehmen«, kommentierte etwa ein Nutzer. Vor allem Bidens Ansage, die Bekämpfung der Covid-Pandemie zur Priorität zu erheben, kam unter Chinesen gut an.
Das Narrativ der Medien hingegen fokussiert sich vor allem auf die Schwächen der US-amerikanischen Gesellschaft: Bei der Wahlberichterstattung ging es vorrangig um die gewalttätigen Proteste und um Trumps Behauptungen zu manipulierten Briefwahlstimmen. Bei vielen Chinesen hat sich in den letzten Wochen und Monaten ohnehin das Bild verfangen, dass sich hier eine zerrissene Demokratie im Untergang befindet. Die täglichen Infektionszahlen aus den USA lassen für viele Chinesen nur einen Rückschluss zu: Die mächtigste Wirtschaftsmacht der Welt interessiert sich vornehmlich für die Interessen seiner Konzerne, nimmt jedoch auf die Gesundheit der Bevölkerung keine Rücksicht.
Einige Kommentatoren hatten zuletzt mit demonstrativem Zynismus Donald Trump bei der Wahl die Daumen gedrückt. Der politische Rowdy, der selbst seine Alliierten in Ostasien mit harscher »America First«-Rhetorik vergrault hat, lässt schließlich selbst Xi Jinping wie einen besonnenen, multilateral orientierten Staatschef erscheinen. Mit Joe Biden dürfte diese Wahrnehmung passé sein.
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