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»Die Kritik ist extrem laut«

Nach fragwürdigen Corona-Maßnahmen von Berlins Fußballverband drohen Vereine mit Klagen und Austritten

Im neuen Zehn-Punkte-Plan des Berliner Fußball-Verbands ist zu lesen: »Die Gesundheit aller Mitglieder im BFV steht an erster Stelle. Damit geht einher, dass ein regulärer Saisonbetrieb sowie die Nutzung von Umkleiden und Duschen in Berlin während der Corona-Pandemie nicht möglich ist.« Ist das bis zu Ende gedacht?

Unserer Meinung nach nicht, denn alles wird einzig und allein auf Corona bezogen. Die normale Gesunderhaltung, also dass du dich nicht erkältest, eine Lungenentzündung bekommst oder sich Wunden entzünden, weil sie nicht gesäubert wurden, all das wird außer Acht gelassen. Wenn man wie jetzt am Wochenende ein B-Jugendspiel hat, wo es in Strömen regnet und die Kinder in nassen Sachen und ungeduscht nach Hause müssen, ist das sicherlich nicht gesundheitsfördernd.

Dieter Müller

Der 45-jährige Beamte ist Amateurfußballer beim SV Schmöckwitz-Eichwalde am Südostrand von Berlin. Seit 2006 trainiert er zudem Kinder aller Altersgruppen im Verein und arbeitet ehrenamtlich als Schiedsrichter sowie Schatzmeister im Vorstand. In all diesen Funktionen macht ihm der neue Zehn-Punkte-Plan des Berliner Fußball-Verbands (BFV) gerade viel Kopfzerbrechen.

Obwohl es darin in Coronazeiten eigentlich um die Gesunderhaltung der Berliner Amateurfußballer gehen soll, sieht Müller darin das komplette Gegenteil. Er sprach mit Oliver Kern über ein chaotisches Wochenende, wütende Eltern und Vereine in einem ganzen Bezirk, die bereits überlegen, ihre Mannschaften abzumelden und eine eigene Liga zu gründen.

Können Sie Ihr Wochenende mal näher beschreiben?

Ich habe mehrere Erfahrungen gemacht. Zunächst als Trainer und Funktionär des eigenen Vereins. Wir haben uns strikt an die Verbandsvorgaben gehalten: In die Kabinen kam nur das Equipment, Umziehen und Duschen war dort verboten. Ausgerechnet am Samstagvormittag war dann schlechtes Wetter, die Kinder waren nass und kalt, und es gab ziemlichen Unmut unter den Eltern. Natürlich vor allem bei der Gastmannschaft, die einen weiten Weg durch die Stadt zurück nach Hause hatte. Manche Kinder wurden im Prinzip gezwungen, sich in aller Öffentlichkeit fast nackt auszuziehen, um sich dann trockene Sachen drüberzustreifen. Das war schon sehr, sehr negativ. Dann war ich als Schiedsrichter auf zwei anderen Plätzen unterwegs. Dort wurden die Regelungen außer Acht gelassen. Die Mannschaften konnten sich in den Kabinen umziehen. Man achtete nur darauf, dass Türen und Fenster offenblieben. Wer wollte konnte auch duschen. Für mich war das in Ordnung. Ich sehe mich nicht als Polizist oder verlängerter Arm des Berliner Fußball-Verbandes. Für mich persönlich war es nicht schön, verschwitzt nach Hause zu fahren. Mit Hinblick auf die bevorstehende kalte Jahreszeit kann das so nicht funktionieren.

Warum haben Sie zwei Spiele gepfiffen?

Beim zweiten bin ich kurzfristig eingesprungen, weil der angesetzte Schiedsrichter nicht gekommen war. Mitte letzter Woche waren vom Verband alle Spiele abgesetzt worden. Am Donnerstagnachmittag kamen dann die Neuansetzungen, was oft dazu geführt hat, dass Schiedsrichter nicht mehr kommen konnten. Auch für sie ist die ganze Situation übrigens nicht einfach. Die Mannschaften sind Rituale gewöhnt, die jetzt nicht mehr erlaubt sind. Als Schiedsrichter bist du immer der Buhmann und sagst, dass aufs Händeschütteln verzichtet werden muss. Es soll kein gemeinsames Auflaufen mehr geben. Und du sollst auf der Auswechselbank für Abstände sorgen. Schiedsrichter haben eh schon viel Stress. Das alles macht es nicht besser.

Die Spieltage werden jetzt auf zwei Wochenenden gestreckt. Es gibt keine Rückrunde. Können Sie damit leben?

Natürlich ist auch das ungünstig. Wir haben eine E-Jugendmannschaft. Die hat jetzt nur noch sieben Spiele im ganzen Jahr. So kannst du kein Kind motivieren. Und es wird auch nicht besser, wenn die Wettkampfpraxis fehlt. Manche Spielklassen sind durch die Aufstockung sehr groß geworden, da ist das weniger ein Problem. Auch Senioren werden vielleicht froh sein, wenn es nicht ganz so viele Spiele gibt. Die, die mehr spielen wollen, müssen aber Testspiele vereinbaren.

An diesem Dienstag treffen sich in ihrem Bezirk viele Vereine. Was soll da besprochen werden?

Genau, in Treptow-Köpenick sind die Vereine im Jugendbereich gut vernetzt. Ein Verein hatte nun die Idee, Alternativen zu besprechen. Eine wäre, dass wir die Mannschaften aus dem regulären Spielbetrieb abmelden und eine eigene Treptow-Köpenick-Liga von den E- bis zu den A-Junioren gründen. Dann wird sich auf Freundschaftsspielbasis getroffen, wenn es Platzkapazitäten und das Wetter zulassen. Wir wären sehr flexibel und hätten viel kürzere Wege, so dass das Problem der Kabinen und Duschen nicht so schlimm wäre. Wir brauchen dann nur 20 Minuten nach Hause anstatt 90 Minuten aus Spandau. Mal schauen, wie die Stimmung bei den anderen Vereinen ist. Unserer wäre definitiv nicht abgeneigt. Es ist einfach völlig unklar, warum in den unteren Spielklassen wieder gelost wurde, wer gegen wen spielt. Zumindest in den Bezirks- und Kreisligen hätte man ja regionale Staffeln bilden können. Wir haben dem Verband auch unser Unverständnis darüber mitgeteilt, dass mit Hinblick auf Corona nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wurde. Stattdessen packt man wieder Schmöckwitz im Südosten mit Spandau im Nordwesten und Wannsee im Südwesten zusammen. Auf unseren Brief haben wir leider keine Antwort bekommen.

Der Verband will jetzt regelmäßig mit den Sportämtern konferieren. Redet er auch genug mit den Vereinen?

Nein. Die Kritik am Verband ist schon seit Monaten extrem laut. Aus Sicht der Vereine reagiert der immer viel zu spät und amateurhaft. Ich gebe mal ein Beispiel: Ein Verein soll Anwesenheitslisten für Zuschauer führen, wenn er Eintritt nimmt, bei freiem Eintritt aber nicht. Da fragt sich doch jeder: Steigt das Infektionsrisiko, wenn du Eintritt zahlst? Das ist genauso sinnfrei und absurd wie das Verbot der Kabinennutzung im Punktspiel, aber nicht beim Training oder bei Testspielen. Die Vereine sind darüber sehr verärgert, sie drohen mit Klagen und Austritten oder dem Gang ins benachbarte Brandenburg. Auch wir liegen am Stadtrand und könnten das tun, denn in Brandenburg ist nahezu alles erlaubt. Es gibt dort einen ganz normalen Trainings- und Spielbetrieb, und die Kabinen und Duschen dürfen genutzt werden. Natürlich versuchen die vielen Ehrenamtlichen im Berliner Verband ihr Möglichstes. Die bekommen auch den ganzen Frust ab. Dabei gilt die Hauptkritik der hauptamtlichen Verbandsspitze. Zu ersten Gesprächen mit dem Bezirksamt ist niemand vom Präsidium gekommen, was bei den Vereinen auf Unverständnis gestoßen war. Natürlich will jeder Funktionär und jeder Spieler, dass sich Corona nicht weiter ausbreitet, und man tut alles dafür. Aber es muss auch maß- und sinnvoll sein. Wenn Punktspiele nicht funktionieren, dann eben keine Saison und nur Testspiele unter klaren Voraussetzungen.

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