Als der Fußball vielleicht noch unschuldig war
Die Autobiografie des ehemaligen Bundesligameisters Andreas Buck ist ein Stück Romantik. Von Frank Willmann
Andreas Buck bestach als Fußballspieler durch Schnelligkeit. Ansonsten stand er meist in der zweiten Reihe, einer von diesen Typen, die nie zu Wort kommen, weil sie viel zu lange überlegen, was ihr Gegenüber wohl von ihnen denken mag. Doch nach seiner Karriere hatte Buck Glück. Er traf auf den Autor und Kaiserslautern-Fan Johannes Ehrmann. Der schenkte ihm Aufmerksamkeit, denn er sah Potenzial in Bucks Fußballarbeiterbiografie. Schließlich verfügt der Mittelfeldspieler über ein Alleinstellungsmerkmal. Buck gelang mit dem 1. FC Kaiserslautern unter Trainer Otto Rehhagel 1998 das Kunststück, als Bundesligaaufsteiger Deutscher Meister zu werden. Den Titel hatte er sechs Jahre davor bereits mit dem VfB Stuttgart mal geholt.
Kaiserslautern und Stuttgart murmeln heute in der Dritt- und Zweitklassigkeit vor sich hin. Im Zeitalter von explodierenden Gehältern und Turbokommerzialisierung sind dergleichen Teams ohne klare wirtschaftliche Kompetenz längst abgehängt. Dass ein Aufsteiger die Bundesliga gewinnt, ist heute unvorstellbar. Die Millionärstruppe aus München beherrscht ja seit vielen Jahren die deutsche Eliteliga.
Der Fußball im Jahr 2020 ist verkommen wie nie, gegen den Chef des Weltverbandes Fifa ermittelt die Schweizer Staatsanwaltschaft, das Sommermärchen war gekauft, seit Football Leaks wissen wir, dass auch die Gier der Spieler keine Grenzen kennt: Die Urteile gegen vermeintliche Vorbilder wie Cristiano Ronaldo, Lionel Messi & Co. in Sachen Steuerbetrug in Spanien sind nachlesbar.
Andreas Buck, früher Turbo genannt, ist heute 51 Jahre alt. Er verdiente als Kicker auch einige Milliönchen, die er dank ausschweifender Leichtgläubigkeit allerdings fast komplett gegen die Wand gefahren hat. Doch er rappelte sich auf, auch weil sein Schwabenherz tapfer zuckte. Er wurde dann als Finanzberater - auch von Spielern - selbst Teil des Systems.
Johannes Ehrmann ist kritischer Geist und guter Autor in einem. Als beobachtender Freund des romantischen Fußballgeplänkels besitzt er noch die nötige Distanz zum Betrieb, um mit uns in der Fußballerbiografie »Turbo« auf Zeitreise zu gehen. Alles begann in Stuttgart, als Paten wie Gerhard Meyer-Vorfelder über den Fußball im Ländle herrschten. Die Gehälter waren vor dem Bosman-Urteil noch moderat, die Vereine wurden von hemdsärmeligen Kerlen geführt, die wussten, wo der Wurstsalat und das Feierabendbier standen. Der Fußball war weiß Gott nicht ehrlicher, das bewiesen schon der Bundesligaskandal in den 70er Jahren und sonstige Manipulationen.
Ehrmann hat aus Bucks Erinnerungen eine gut verzahnte Erzählung gebaut, die trotz drögem Buck nie langweilt, weil Ehrmann es schafft, die großen und die kleinen Dinge fein justiert zu verbinden. Politik interessierte Buck nie, als Lektüre reichte ihm die »Bild«. Auch die Freuden der Kultur waren ihm fremd, er spielte Fußball. Wahrscheinlich bedurfte es dieses Tunnelblicks und dieser Interessenlosigkeit, um sich ganz auf den Sport zu konzentrieren und darin aufzugehen. Wer im Fußball-Business zu viel nachdenkt und am Ende sein Handeln noch reflektiert, geht wahrscheinlich unter.
Wenn Buck etwas anderes tut als Fußballspielen, scheitert er. Das betrifft seine Familie wie manche Geschäftsentscheidungen. Im Fußball war Buck ein fast ganz Großer (er war mal für die Nationalelf nominiert, verletzte sich aber kurz vor dem geplanten Einsatz), auch weil er merkt, dass eine Mannschaft nicht aus elf Freunden, sondern aus elf Egos besteht. Die Ausflüge in Taktik, Trainingsprogramme und den Alltag der Meisterschaft lesen sich mit Gewinn, Buck ist ein guter Zeuge. Und Ehrmann gelingt es, ihn bedrückend schöne Sätze sagen zu lassen wie: »Bevor der Fußball sich in der großen, weiten Welt verlor, kam er 1998 noch einmal bei sich an. Im kleinen Kaiserslautern in der wirtschaftlich schon abgehängten Pfälzer Provinz. Noch ein letztes Mal war so etwas wie Romantik möglich. Ein Triumph wie aus Fritz Walters Zeiten. 70 000 Mark haben wir als Meisterprämie bekommen, jeder Spieler im Kader gleich viel. Egal ob er 30 Spiele gemacht hat oder drei. Die Mannschaft hat das so entschieden. Große Diskussionen darüber gab es nicht … Wir waren alle Helden. Und jeder für sich war verliebt in unsere Geschichte.«
Ehrmann meint es ehrlich, hat das Gespür für die Dramen normaler Leute. Dazu kommt eine feine Sprache. »Turbo« ist lesenswert und glaubwürdig mit einer hoffnungsfrohen Prise Fußballromantik.
Andreas Buck, Johannes Ehrmann: »Turbo - Mein Wettlauf mit dem Fußballgeschäft«, Tropen Verlag, 224 S., geb., 20 Euro.
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