Berlin soll »Gesundheitsstadt« werden

Über die Coronakrise hinaus will man auf dem Arbeitsmarktgipfel mit großen Plänen gen Zukunft

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Kundgebung der Charité-Beschäftigten vor dem Roten Rathaus kann der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Mittwochmittag sehr gut hören, als er nach dem Ende des Arbeitsmarktgipfels vor die Presse tritt. »Müller, komm raus!« schallt es durch die Fensterfront im Säulensaal des Regierungssitzes. Knapp 200 Mitarbeiter*innen des vor 16 Jahren ausgegliederten Tochterbetriebs Charité Facility Management (CFM) sind seit einer Woche im Warnstreik und stehen nun auch hier über Stunden standhaft im Regen. Sie fordern gemeinsam mit der Gewerkschaft Verdi die Aufnahme in den Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) - die CFM bietet ihnen bislang nur einen Manteltarifvertrag an.

Michael Müller ist in dieser Sache nicht nur als politischer Entscheidungsträger, sondern auch als Mitglied des Aufsichtrats der Charité gefordert - dem Ruf der Beschäftigten folgt er an diesem Mittwoch aber nicht. Drei Stunden hat er soeben mit Vertretern von Wirtschaft und Gewerkschaften über die Lage am Berliner Arbeitsmarkt debattiert, die nach wie vor aufs Heftigste von der Coronakrise geprägt ist. In der Folge soll das Projekt der Digitalisierung vorangetrieben werden - »mit Landes- und Bundesmitteln«, so Müller. Weiterhin stellt man sich vor, die Zahl der Ausbildungsplätze beim Land von 500 auf 1000 zu verdoppeln. Dabei sind derzeit noch 6300 Ausbildungsplätze unbesetzt. Um die von der Coronakrise schwer gezeichneten Branchen wie Gastronomie und Hotellerie gerade im Ausbildungsbereich zu unterstützen, soll gemeinsam mit dem Gaststättenverband unter anderem ein »Ausbildungshotel« entstehen.

Überdies habe man über die Coronakrise hinaus in die Zukunft geschaut, erklärt der Regierungschef, und eine neue Leitbild-Debatte aufgelegt. Berlin habe das Zeug, zum Zentrum von Forschung und Wissenschaft zu werden, hier vor allem im Gesundheitsbereich. Mit Elan und »Hauruck-Aktionen« müssten die Ergebnisse in konkrete Handlungen übersetzt werden, formuliert es DGB-Landeschef Christian Hoßbach im Anschluss an Müllers Ausführungen. Man dürfe nicht passiv die Zeit der Krise verbringen, sondern müsse »auf die Straße« und dort für Weiterbildung und betriebliche Ausbildung werben, so Hoßbach. Berlin habe in den vergangenen zehn Jahren hervorragende Grundlagen geschaffen und könne sich sehen lassen: »Mobilität, Energieversorgung, Gesundheit - das sind Märkte, Chancen und viel Potenzial«, zeigt sich auch Hoßbach optimistisch. Man werde persönlich - und damit ist auch Michael Müller gemeint -, in Betriebe gehen, um dort mit »kurzfristigen, gemeinsam getragenen Aktivitäten« die

Zur Angelegenheit CFM gibt Müller auf Nachfrage dann doch noch eine schmallippige Erklärung ab: »Wir wollen die Tarifsituation verbessern, im Interesse der Beschäftigten ist hier schon viel auf dem Weg.« Das entspricht ziemlich exakt der Unternehmenshaltung. Bei den Protestierenden im Arbeitskampf vor seinem Amtssitz wäre er damit sicher nicht durchgekommen. Und was sie von dem Loblied auf die Zukunft der Hauptstadt als »Gesundheitsstadt« halten, darf man sich getrost ausmalen. »Die Fassade des Leuchtturms der Medizin bröckelt«, ruft Daniel Daniel Turek, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei der CFM ins Mikrofon.

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