Potsdam-Tourismus leidet unter Corona

Während Ferienwohnungen ausgebucht sind, haben Museen, Hotels und die Fahrgastschifffahrt zu kämpfen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 7 Min.

Dass die MS »Schwielowsee« abgefahren ist, bemerken die Passagiere erst, als das Schiff sich bereits einige Meter von der Anlegestelle entfernt hat. Es fehlt das für Fahrgastschiffe typische Brummen und Vibrieren der Maschinen. Nur ein ganz leises Summen ist zu hören. Die MS »Schwielowsee« sei das erste Hybrid-Fahrgastschiff Deutschlands, wenn nicht gar Europas, berichtet Jan Lehmann stolz. Er ist Geschäftsführer der Weissen Flotte Potsdam, die es für 2,9 Millionen Euro bauen ließ und 2019 in Dienst stellte.

Potsdam-Tourismus in Zahlen

In der Stadt Potsdam sind Ferienwohnungen im Moment auf 14 Tage im Voraus ausgebucht.

Die Hotels der brandenburgischen Landeshauptstadt sind gegenwärtig zu 70 bis 80 Prozent ausgelastet. Damit sieht es bereits wieder etwas besser aus als kurz nach dem Ende der weitgehenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Von normalen Verhältnissen ist der Potsdam-Tourismus allerdings noch weit entfernt.

Im April 2020 zählte Potsdam 10 179 Übernachtungen. Das waren 91 Prozent weniger als im April 2019. Gerechnet auf die Zeit von Januar bis Mai gibt es ein Minus von 57 Prozent.

Im Jahr 2019 hatten in der Stadt Potsdam insgesamt mehr als 1,3 Millionen Gäste übernachtet, von denen reichlich 100 000 aus dem Ausland angereist waren. Zum Vergleich: 2009 hatte Potsdam dagegen erst etwas mehr als 800 000 Übernachtungen zu verzeichnen gehabt. af

Elektrisch angetrieben und dementsprechend leise gleitet die MS »Schwielowsee« über das Wasser der Havel. Die Batterie reicht für anderthalb Stunden Fahrt, obwohl die Konstrukteure ursprünglich nur 30 Minuten versprechen wollten. Allerdings wird die Batterie im Laufe eines Tages mit Strom nachgeladen, den zwei Dieselmotoren erzeugen. Zwar gebe es auch einen Stromanschluss am Hafen, doch der kurze Aufenthalt zwischen zwei Touren reiche nicht für die jeweils nächste, so Lehmann. Trotzdem scheint es die Technologie der Zukunft zu sein.

Im Moment hat Lehmann jedoch andere Sorgen. Die Fahrgastschifffahrt ist ein Saisongeschäft. Das Geld wird hauptsächlich in nur sechs Monaten des Jahres verdient, und von diesen sechs Monaten fehlen durch die Coronakrise der April und der Mai. Bis jetzt zählte die Weisse Flotte im laufenden Jahr 65 000 Passagiere. Im vergangenen Jahr waren es zum gleichen Zeitpunkt bereits 133 000. Seit dem 28. Mai dürfen die acht Fahrgastschiffe und zwei Wassertaxis zwar wieder Gäste begrüßen. Doch die Auslastung liegt bei bescheidenen 49 Prozent. Die Reisebusse mit älteren Herrschaften aus Hannover oder Leipzig sind ausgeblieben. Auch fehlen die Touristen aus dem Ausland, die im Reiseführer lesen, zu einem Berlinbesuch gehöre unbedingt ein Abstecher zu den als Weltkulturerbe eingestuften preußischen Schlössern und Gärten in Potsdam.

Lehmanns Unternehmen beschäftigt vergleichsweise wenige Saisonkräfte. Die 150 fest angestellten Mitarbeiter füllen gewöhnlich ihre Arbeitszeitkonten von Frühjahr bis Herbst an und haben im Winter viel Freizeit. Während der Coronakrise war aber Kurzarbeit angesagt. Im Moment sind alle Leute an Bord. Doch Lehmann kann nicht abschätzen, wie es in den kommenden Monaten laufen wird. »Die Glaskugel habe ich nicht«, sagt er.

Hauptgeschäft: Stornierungen

Die Situation der Weissen Flotte ist typisch für die Tourismusbranche in Potsdam und anderen Großstädten. Das zeigt sich am Freitag bei der jährlichen Tourismusfahrt mit Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Raimund Jennert von der Potsdam Tourismus und Service GmbH berichtet bei dieser Gelegenheit von den großen Hoffnungen, die die Branche in das Ende des Lockdowns gesetzt hatte. Doch zunächst sah es allein in den ländlichen Regionen besser aus. Diese profitieren davon, dass wegen der Coronakrise jetzt mehr Deutsche ihren Urlaub im Inland verbringen.

So meldete der Wildpark Schorfheide, nachdem er wieder öffnen durfte, einen so noch nie erlebten Besucheransturm, und ein Landgasthof in Vetschau registrierte so viele Radtouristen wie nie zuvor. In Potsdam jedoch rollt das Geschäft nur sehr zögerlich wieder an. Es finden praktisch immer noch keine Tagungen statt, worunter die Hotels leiden. Bei der Buchung von Veranstaltungen sei ein Rückgang um 75 Prozent zu verzeichnen. »Stornierungen sind im Moment unser Hauptgeschäft«, sagt Raimund Jennert.

Davon betroffen ist das Kongresshotel Potsdam. In den größten der 40 Tagungssäle passen normalerweise 500 Menschen. Jetzt stehen hier mit großem Abstand lediglich 100 Stühle. Ministerpräsident Woidke ist bei diesem Anblick verblüfft. Er hat hier bei so manchem SPD-Landesparteitag vor einem voll besetzten Saal gesprochen. Auch CDU und Linke haben schon oft in dem Saal getagt.

Das Kongresshotel hat noch Glück im Unglück, wie Chefin Jutta Braun berichtet. Durch die Lage am See sind jetzt 85 Prozent der Gäste Familien, die hier Urlaub machen und so den Ausfall der Tagungen etwas kompensieren. Gerade rechtzeitig ist ein hypermoderner Wellnessbereich mit großem Pool fertig geworden. Trotzdem kam Jutta Braun in der Coronakrise nicht umhin, Kurzarbeit anzuordnen. Das Kurzarbeitergeld von der Arbeitsagentur sei vom Hotel »sozialverträglich aufgestockt« worden, betont sie.

Dazu muss man wissen, dass Hotels und Gaststätten vergleichsweise bescheidene Löhne zahlen. Dann mit 60 Prozent Kurzarbeitergeld auszukommen, ist schwer bis unmöglich. Sebastian Walter, Linksfraktionschef im Landtag, hat dies am Beispiel eines Freundes vorgerechnet, der in einem Restaurant arbeite und normalerweise 1250 Euro netto im Monat verdiene. Auf Kurzarbeit gesetzt, weil das Restaurant geschlossen habe, bekomme er lediglich noch 750 Euro. Die Miete könne er zwar stunden lassen, doch wie solle er seine angehäuften Mietrückstände später von 1250 Euro im Monat abzahlen?

Woidke wirbt

Ministerpräsident Woidke kann das Kongresshotel nur empfehlen. In einem ovalen Zimmer mit Dachterrasse und herrlichem Seeblick fanden nach der Landtagswahl 2019 in atemberaubender Geschwindigkeit die Koalitionsverhandlungen mit CDU und Grünen statt. Die Betreuung und Beköstigung durch das Personal sei ausgezeichnet gewesen, schwärmt der SPD-Politiker. Man hätte gern behauptet, noch zu verhandeln, obwohl man sich schon einig gewesen sei - nur um dies noch eine Woche genießen zu dürfen, scherzt Woidke.

Im Campingpark Sanssouci brummt das Geschäft schon wieder. Zwar bleiben auch hier die internationalen Gäste weg, berichtet Geschäftsführer Dieter Lübberding dem Ministerpräsidenten. Doch stattdessen kommen Gäste aus Süddeutschland, die früher nach Italien reisten. Unter den Campern seien jetzt auch viele »Anfänger«, die sich zuvor rasch ein Zelt gekauft haben, um das einmal auszuprobieren. Das typische Gefühl des freien Umherstreifens, bei dem abends nach einem langen Tag irgendein Campingplatz in der Nähe angesteuert wird, stellt sich jedoch nicht ein. Lange Buchungen im Voraus sind üblich geworden. 240 Stellplätze stehen zur Verfügung, zusammen etwa 600 Personen halten sich hier auf. Trotzdem wird der Campingpark diese Saison Einbußen erleiden. Die Verluste durch die Schließung während des Lockdowns lassen sich nicht mehr aufholen. »Wir gehen davon aus, dass wir 20 Prozent unseres Umsatzes nicht machen können«, erklärt Lübberding. »20 Prozent sind viel.«

Hoffen auf Monet

Auch das Museum Barberini, dessen Mäzen der Softwaremilliardär Hasso Plattner ist, kann bei den Besucherzahlen den Einbruch durch die zeitweilige Schließung nicht mehr aufholen. 110 000 Besucher kamen insgesamt in die am 22. Februar eröffnete Ausstellung, »die unter normalen Bedingungen sicherlich 350 000 Besucher gehabt hätte«, erzählt Chefkurator Michael Philipp. Zwischen dem 6. Mai und dem 19. Juni durfte das Museum wegen strenger Hygieneregeln lediglich 800 Gäste pro Tag einlassen. Die sind dann aber auch gekommen. Da sich einige Kunstenthusiasten beschwerten, weil sie bei der Onlinebuchung keines der raren Tickets ergattern konnten, versucht das Museum Barberini nun, die Enttäuschten zu trösten: Am 7. September eröffnet eine Dauerausstellung mit impressionistischen Gemälden aus der Sammlung von Plattner, darunter Meisterwerke von Monet und Renoir. »Mit 34 Gemälden von Claude Monet sind außerhalb von Paris nirgends in Europa mehr Werke dieses Künstlers an einem Ort zu sehen«, wirbt das Barberini, das Werbung eigentlich schon nicht mehr nötig hat.

Grauer Markt

Im vergangenen Jahr zählte Brandenburg 14 Millionen Übernachtungen - und damit noch einmal 3,2 Prozent mehr als 2018. Nimmt man das Jahr 2003 zum Ausgangspunkt - damals gab es 8,4 Millionen Übernachtungen -, ist diese Zahl seitdem immer nur gestiegen. Doch für 2020 werde man einen Einbruch verkünden müssen - so viel kann Dieter Hütte jetzt bereits sagen. Hütte ist Chef der Tourismus Marketing Brandenburg GmbH und weiß von einem »grauen Markt«, der davon nicht betroffen sei. Beim grauen Markt handelt es sich um Urlauber, die in Pensionen mit weniger als zehn Betten übernachten, in einzeln angebotenen Ferienwohnungen oder bei Freunden und Bekannten. Diese fließen nicht in die amtliche Statistik ein. Den grauen Markt mitberücksichtigt, hat es Schätzungen zufolge im vergangenen Jahr sogar 24,4 Millionen Übernachtungen in Brandenburg gegeben. Nun sei der graue Markt aber auch in den vergangenen Jahren schon gut ausgelastet gewesen, weshalb er die Einbrüche bei den Hotels vermutlich nicht auffangen könne.

Es geht um viel. Immerhin zählt die märkische Tourismusbranche 100 000 Beschäftigte. Ministerpräsident Woidke wirbt um Verständnis für die Verlängerung der Corona-Verordnung bis Anfang September. »Ich weiß, dass das insbesondere auch unsere Gastronomie hart trifft, weil sie durch das Abstandsgebot weiterhin nicht so viele Sitzplätze für Gäste anbieten kann wie in normalen Zeiten«, sagt er. »Aber wir müssen das Infektionsgeschehen im Blick behalten. Wir sind noch nicht durch, sondern mittendrin in der Pandemie.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.