Belauern, leihen und tauschen
Vertragslose Fußballer sind Verlierer dieser Transferphase
Als das größte Transferfenster in der Geschichte der Bundesliga endlich geöffnet war, tat sich erst einmal nahezu nichts. André Schürrle verabschiedete sich immerhin von Borussia Dortmund - beide Seiten hatten sich zuvor auf eine Vertragsauflösung geeinigt. Doch ansonsten herrschte auf dem nicht selten wild tobenden Spielermarkt ungewohnte Langeweile. »Ich kann mich nicht erinnern, dass es zu diesem Zeitpunkt schon einmal so wenig Wechsel gab«, sagte der langjährige Bundesliga-Manager Christian Heidel dem »Kölner Stadtanzeiger« über den Auftakt des langen und seltsamen Transfersommers im Fußball.
Seit diesem Mittwoch läuft die offiziell »Wechselperiode 1.2« genannte Mammutphase, in der fast drei Monate lang Verkäufe und Verpflichtungen möglich sind. Erst am 5. Oktober endet sie, bislang schloss das Transferfenster zumeist schon am 31. August. »Es gibt keine Erfahrungen für diese Situation. Jeder muss sich seine eigene Strategie zurechtlegen«, sagte Eintracht Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic.
Bislang besteht diese Strategie fast überall aus Abwarten und gegenseitigem Belauern. »Ich glaube, dass diese Transferperiode völlig anders wird als in der Vergangenheit. Und dass Spieler erst sehr spät auf den Markt kommen«, sagte Max Eberl. Der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach erwartet vor allem eine Abkehr von den klassischen Transfers. »Leihen, Tauschgeschäfte - es sind jetzt andere Modelle, die eine Rolle spielen können«, so Eberl.
Der spätere »Ladenschluss« ist die Folge der Coronakrise, die den Terminplan in ganz Europa nach hinten verschoben hat. Bayern Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge begrüßt die Entscheidung jedenfalls ausdrücklich. »Das Finale der Champions League wird am 23. August gespielt, weshalb die Verlängerung allen Vereinen sechs Wochen Zeit lässt. Das ist eine weise Entscheidung«, sagte der 64-Jährige. Die Klubs könnten nun später als gewohnt noch auf Schwachstellen reagieren .
Vor allem aber herrscht bei vielen Vereinen derzeit noch Ebbe in der Kasse. Ohne Einnahmen keine Ausgaben - doch dafür muss erst der erste Dominostein fallen. Das zeigt sich beispielhaft bei den Torhütern: Derzeit halten sich hartnäckige Gerüchte, wonach Alexander Schwolow vom SC Freiburg zu Schalke 04 wechselt. Aber wohl erst mit dem Vollzug des Wechsels dürfte sich das Spielerkarussell zumindest auf der Position der Torhüter kräftiger drehen.
Verlierer gibt es auch. Jene Fußballer zum Beispiel, deren Vertrag ausläuft oder die bei ihrem Klub keine Zukunft mehr haben, hängen vorerst für längere Zeit in der Luft. Das wird sich wohl erst ändern, wenn das Ende der Transferperiode in Sichtweite gerät. »Die Schwemme von Spielern auf dem Markt wird im August sicher groß sein«, ahnt Bobic.
Bis dahin wird sich weiter belauert - oder einfach, wie bei Borussia Mönchengladbach, auf den bestehenden Kader gesetzt. Gerade zwei Neuzugänge seien in diesem Sommer beim Bundesligavierten geplant, sagte Eberl. Schließlich muss auch ein Teilnehmer der Champions League in dieser ungewöhnlichen Situation sparen. Und auch bis zum Abschluss der beiden geplanten Transfers wird es wohl noch dauern, glaubt Eberl. Denn: »Es ist eine Zeit, die anders ist.« SID/nd
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