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Sister Corita gegen Rassismus
Mit der Ausstellung »Mapping the Collection« wirft das Museum Ludwig in Köln einen dezidiert politischen Blick auf die Sammlung und das Haus selbst
Immer größer, immer teurer. Diesen Eindruck konnte die Welt der Kunst bis zur COVID-19-Pandemie vermitteln - ausgelöst von obszönen Auktionen und boomenden Messen, aber auch versinnbildlicht durch überfüllte Blockbuster-Ausstellungen, mit denen oft auf dominierende Narrative in der Kunstgeschichtsschreibung gesetzt wurde.
Die Ausstellung »Mapping the Collection« im Kölner Museum Ludwig bricht aus dem Sicherheitsnetz der bereits gemachten Erfahrung aus. Es werden momentan Kunstwerke von weiblichen, queeren, indigenen Künstler*innen sowie Artists of Color versammelt: Bekannte Erzählungen der US-amerikanischen Kunst - insbesondere der 1960er und 1970er Jahre - sollen somit ergänzt werden. Zu sehen sind unter anderem Arbeiten einer katholischen Nonne, die zu den bedeutendsten Pop-Künstler*innen der 1960er Jahre gehört: Corita Kent. Bis 1968 nannte sie sich Sister Mary Corita Kent und unterrichtete Bildende Kunst am Immaculate Heart College in Los Angeles, das sie zu einem Mekka für zahlreiche bahnbrechende Künstler*innen und Innovator*innen ihrer Zeit machte - darunter John Cage oder Charles und Ray Eames. Berühmt wurde sie in den 1960er Jahren durch ihre Siebdrucke, mit denen sie Themen wie Rassismus, Armut oder den US-amerikanischen Truppeneinsatz in Vietnam verhandelte. Charakteristisch für ihre Arbeit ist die Kombination von Zitaten aus der Bibel, von Rainer Maria Rilke oder Robert Frost mit der Ästhetik der Pop-Art und Werbung. Ebenso ist die afroamerikanische Künstlerin Senga Nengudi mit drei fotografischen Dokumentationen vertreten. Mit ihrem Werk, das zwischen Skulptur, Installation und Performance angesiedelt ist, ergründet sie weibliche, schwarze Identität.
Für die Auswahl hat sich Janice Mitchell, Kuratorin der Ausstellung, im Rahmen eines Forschungsprojekts zwei Jahre intensiv mit der 350 Werke umfassenden Sammlung des Museums auseinandergesetzt. Sie untersuchte diese hinsichtlich postkolonialer, feministischer, queerer oder gender-theoretischer Fragestellungen. Darüber hinaus umfasste ihre Arbeit eine kritische Auseinandersetzung mit den Erzählungen der Kunstgeschichte, die eine Befragung der Institution Museum mit einschließt: »Ich habe kunsthistorische Recherchen betrieben. Mich hat interessiert, was wurde über Künstler*innen oder diese Zeit geschrieben, und wie hat sich die Rezeption über die Jahre geändert. Ich habe mich zudem intensiv mit dem gesellschaftlichen und historischen Kontext beschäftigt. In Deutschland liegt immer noch ein großer Fokus auf formalästhetischen Schwerpunkten, wenn es um Kunst geht - auch im Museum selbst. Da ich mich auch außerhalb dieses Projektes für Institutionskritik und eine kritische künstlerische Praxis interessiere, spielen diese Dinge einfach schon mit rein. Auch inwiefern sich das Verständnis von Museen verändert.« Diese Herangehensweise spiegelt sich in dem umfassenden Glossar zur Ausstellung wider, das einen Überblick zu den politischen und gesellschaftlichen Ereignissen und Entwicklungen der beiden Jahrzehnte gibt. Neben populären Geschichtseinträgen werden damit Schlaglichter auf weniger bekannte Entwicklungen wie die Black-Arts-Bewegung oder American Indian Movement geworfen. Die notwendige - und oftmals vermisste - Hinterfragung ist Thema einer Arbeit von Adrian Piper. Die mittlerweile in Berlin lebende US-Amerikanerin kritisiert in ihrer Serie »Entscheide, Wer Du Bist« den Mangel an Selbstreflexion und das Versäumnis des weißen Establishments, eine Mitschuld an der Aufrechterhaltung der institutionellen Strukturen anzuerkennen, die das Fortbestehen von Rassismus ermöglichen. »Piper hat«, so Mitchell, »als Konzept- und Performancekünstlerin stetig Grenzen bewegt. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, dass Künstler*innen aus den Communitys of Color einen sehr wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der amerikanischen Kunst geleistet haben.« Solchen Positionen wird in der Ausstellung nun Raum gegeben. Der Raum also ist ein Begriff, der in der Ausstellung stets mitschwingt, jedoch nicht theoretisch überhöht wird: »Raum ist ein wichtiges Thema. Deutlich wird das an Werken, die explizit auf historische Ereignisse eingehen, bei denen es um Raum geht, wie um die Eroberung des Westens, oder um die Veränderung des Stadtbildes in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren.« Für letztes steht beispielhaft die Fotoreihe von David Wojnarowicz. Er streift in der Rolle des Flaneurs mit der Maske des französischen Dichters Arthur Rimbaud durch die Straßen von New York. Dabei fotografierte er sich oder Freunde mit der Maske an verschiedenen - heute verschwundenen - Orten, die hauptsächlich von schwulen Männern frequentiert wurden, auch regelmäßig von ihm selbst.
Neben einer Verschiebung der Perspektive werden in der Ausstellung durch eine Kombination von Werken aus der Sammlung und Leihgaben zudem Verbindungen der Künstler*innen und Szenen bewusst akzentuiert: »Die Leihgaben haben inhaltlich oder ästhetisch klare Bezüge zu Werken in der Sammlung. Damit werden die Verbindungen der Kunstentwicklungen innerhalb der USA deutlich.«
So spielen Werke wie »Rote Scheune II« von Roy Lichtenstein und das Gemälde »All die müden Pferde in der Sonne« des indigenen Künstlers T.C. Cannons ironisch auf die amerikanische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts an, die die Natur traditionell als unberührt und rein darstellt.
Mit »Mapping the Collection« lädt das Museum Ludwig ein, einen anderen, dezidiert politischen Blick auf die Sammlung des Hauses zu werfen. Ein Bewusstsein, dass sich Janice Mitchell für die Arbeit von Museen grundsätzlich wünscht: »Ich finde es wichtig, als Institution ganz bewusst eine politische Haltung einzunehmen, auch im Hinblick auf die Community und die Stadt, in der sich das Museum befindet.«
Trotz einer wachsenden Sensibilität, aktuell nachdrücklich aktiviert durch gesellschaftliche Ereignisse und politische Debatten rund um rassistische Konzepte wie Hautfarbe, darf ein solcher Schritt keine sommerliche Intervention einer einzelnen Institution bleiben. Es bedarf vieler Fragen, die sich Museen dauerhaft stellen müssen: »Wie ist das Programm gestaltet? Wer ist in den Ausstellungen vertreten? Wen kaufen wir an? Wer ist in unseren Sammlungen vertreten? Das sind, glaube ich, sehr wichtige Fragen«, sagt Janice Mitchell und ergänzt: »Es sollte überlegt werden, wie ein größeres, vielfältigeres, vielschichtigeres Publikum einbezogen werden kann, sodass auch jüngere Menschen ein Interesse an Kunst entwickeln können, weil sie feststellen: ›Ich interessiere mich für Kunst und ich bin in diesen Häusern vertreten‹.«
»Mapping the Collection«, bis 11. Oktober, Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, Köln
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