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Nichts ist erledigt
Eine Ausstellung in der Galerie Diehl in Berlin fragt nach der politischen Kraft der Kunst
Der Mensch ist das Maß aller Schneider». Quer durch den Galerieraum spannt sich eine Wäscheleine. Daran hängen aus braunem Packpapier ausgeschnittene Buchstaben, die diesen Satz formen. Man muss genau hinschauen, um den Sinn zu entziffern. Was, bitteschön, soll an diesem Kalauer politisch sein?
Geschaffen hat die Arbeit Dieter Hacker im Jahr 1970, vor genau 50 Jahren. Der 1942 in Augsburg geborene Künstler ist heute vielleicht kein Begriff mehr. Zu Beginn der 70er Jahre gehörte er aber zu den deutschen Künstlern, die der kritischen Kunst in seiner Heimat den Weg bahnten.
Heute ist die Politische Kunst Mainstream. Im konservativen Adenauer-Deutschland war sie noch ein Skandalon. Hacker kam von der kinetischen Kunst her, vollzog zu Beginn der 70er Jahre dann aber eine Kehrtwende zur sozialkritischen Kunst.
Mit seiner 1971 in Berlin-Wilmersdorf gegründeten Produzentengalerie wollte er sich vom kommerziellen Kunstmarkt absetzen. «Tötet Euren Galeristen» hatte er auf ein Ausstellungsplakat geschrieben.
Wie sein Zeitgenosse Beuys sah Hacker «Kreativität» als allgemeine Ressource. Grenzte sich aber auch von dem Guru ab. «Jeder könnte ein Künstler sein» - der Titel seiner ersten Ausstellung war gleichsam ein ironisches Echo auf Beuys’ berühmte Formulierung «Jeder Mensch ist ein Künstler».
Fortan verstand sich seine Galerie, die zugleich Wohnraum, Atelier, Ausstellungsraum und Verlag war, als Podium, um die Arbeitsbedingungen bildender Künstler und die gesellschaftliche Funktion von Kunst zu klären sowie seine Idee von «Volkskunst» zu propagieren.
Die Formel klingt einigermaßen antiquiert. Angesichts einer Initiative wie die um die neue Kunstzeitschrift «Art of the working class» zeigt sich freilich die Virulenz einer offenbar doch längst noch nicht obsoleten Idee.
Und wer sich Hackers ureigenste Definition der Idee anschaut, ist plötzlich mittendrin in der Gegenwart von heute, in der im Angesicht von Gentrifizierung, White Male Supremacy und Lockdown das gesellschaftliche Selbstverständnis der Kunst neu zur Debatte steht.
«Volkskunst, das ist nicht Kunst, die vom Volk gemacht wird. Volkskunst ist nicht die Malerei, die Schnitzerei, die Kneterei des Dilettanten. Volkskunst ist die Kunst, die eignen Interessen zu artikulieren, möglichst wirksam und deshalb möglichst unkonventionell, möglichst fantasievoll, möglichst intelligent.» Die Berliner Koalition der Freien Szene, eine Initiative wie «Haben und Brauchen» oder mancher Berliner Artspace könnte Hackers Motto von 1972 problemlos als «Vision Mission» übernehmen.
«Kunst im Politischen Kampf» - die Ausstellung in der Galerie Volker Diehl, in der diese Fragen verhandelt werden, reinszeniert eine gleichnamige Ausstellung aus dem Jahr 1973. Damals luden Helmut Leppien und Christos Joachimides, Direktor des Hannoveraner Kunstvereins der eine, legendärer Ausstellungsmacher der andere, Künstler zu einem damals noch riskanten Experiment ein.
Der Vorteil der kleinen, gerade mal 20 Arbeiten starken Rückschau ist, dass sie erlaubt, die historisch-ästhetischen Konjunkturen eines oft totgesagten, dann doch wieder quicklebendigen Konzepts zu studieren. Und mit denen von heute zu vergleichen.
Was dabei auffällt, ist, dass vor 50 Jahren die sich neu formierende Bewegung der politischen Kunst mit sehr viel mehr Humor agierte als heute. Hackers Buchstabenleine, mit der er das hohle Pathos humanistischer Glaubensformeln ironisiert, ist der eine Beleg.
Die Chuzpe, mit der er eine Fake-Version von Joseph Beuys’ Hundeschlitten von 1969 anfertigen ließ, des Meisters aus den eigenen Kriegserlebnissen geronnenes Symbol für zwischenmenschliche Solidarität, ist ein anderes.
Um den Kult des Originals scherte sich Hacker wenig. Die Replik steht nun im sonnendurchfluteten Schaufenster der Galerie. Auf das damals grassierende Feindbild China reagierte der Hamburger Künstler KP Brehmer mit Sarkasmus. In seiner Lithographie trägt die Armee der Chinesen statt Waffen Besen.
Heute gepriesene neue Methoden des «artistic» und «social mapping» gab es schon zu Beginn der 70er Jahre. Hackers Schauzeichnung «Kunst im politischen Kampf» von 1973, die der Ausstellung den Namen gibt, steht heutigen Versuchen in nichts nach.
Mit einem sechszackigen roten Stern hat er die «gesellschaftlichen Prozesse» als Kampf innerhalb der widerstrebenden Pole «Widerspiegelung-Objekt-Subjekt» oder «Wesen-Erscheinung-Kunst» fixiert. Auch das Formbewusstsein spielte eine andere Rolle. Wie KP Brehmers großartige Arbeit «Korrektur der Nationalfarben» belegt: 1970 schuf der 1938 in Berlin geborene Grafiker, Maler und Filmemacher eine vielsagende Installation: Eine schier endlose, von der Decke hängende, goldgelbe Stoffbahn, deren Rand ein schmaler schwarzer Streifen säumt, mittendrin ein kaum sichtbarer dünner Strich in Rot. Die Farbverteilung der Deutschlandfahne, darauf spielte die Arbeit an, «gemessen an der Vermögensverteilung», war nicht nur eine politische Provokation. Den (gelben) Löwenanteil des deutschen Identitätstuches nimmt das Großkapital ein, der (schwarze) Mittelstand ist an den Rand gedrängt, die «Restlichen Haushalte», rot markiert, sind kaum wahrnehmbar.
Die Arbeit wurde auf der documenta 5 gezeigt. 1972 hing sie vor dem Fridericianum. Mit ihren strengen Proportionen hätte sie freilich auch als Objekt der Minimal Art durchgehen können. Vor allem zeigt sie auf nachgerade verstörende Weise, wie wenig sich an den Missständen, die die kritische Kunst damals aufs Korn nahm, zum Positiven verändert hat. «Nichts ist erledigt», sagt Brehmers Freund und Zeitgenosse Klaus Staeck heute gern dazu.
«Kunst im politischen Kampf - in Erinnerung an Christos Joachimides.», bis 10. Juli. Galerie Volker Diehl, Niebuhrstraße 2, Berlin
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