Die kollektive Übernahme

Betriebe in Belegschaftshand - eine Konferenz in Berlin lotet Möglichkeiten und Schwierigkeiten aus

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

»Workers' Buy-out – Betriebsübernahme durch die Belegschaft!«, lautet der Arbeitstitel einer juristisch-politischen Fachkonferenz, die an diesem Wochenende im FMP1 am Franz-Mehring-Platz in Berlin mit Unterstützung der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Netzwerks Selbsthilfe in Berlin stattfindet. Der Zeitpunkt für die Veranstaltung könnte kaum aktueller sein. Die Corona-Pandemie war der Anstoß für einen tiefen Wirtschaftseinbruch mit historischen Dimensionen. Während Millionen noch in Kurzarbeit verharren und auf eine Rückkehr in »Vor-Corona-Zustände« hoffen, sind Ängste vor Entlassungen, Betriebsschließungen und Arbeitslosigkeit. Regierende kehren von alten strikten Privatisierungsdogmen ab und schließen eine Staatsbeteiligung zumindest an größeren Konzernen nicht aus. Bei der angeschlagenen Lufthansa nimmt die Bundesregierung sogar deutlich mehr Geld in die Hand, als die Aktien derzeit überhaupt wert sind. Kleinere Firmen und Betriebe hingegen stehen weiter auf der Kippe. Viele fürchten eine Pleitewelle ab Herbst.

Weil traditionelle gewerkschaftliche Mittel und formale Mitbestimmungsrechte zur Verteidigung von Arbeitsplätzen, Betrieben und akzeptablen Arbeitsbedingungen offensichtlich nicht ausreichen, sind weitergehende Alternativen jenseits des kapitalistischen Privateigentums und des Herr-im-Hause gefragt. Jahrzehntelange negative Erfahrungen mit Privatisierungen stärken die Bereitschaft zum Nachdenken über kollektive Formen der Produktion. Begriffe wie Vergesellschaftung, Verstaatlichung und Enteignung sind wieder in vieler Munde. Wer nicht tatenlos und mit verschränkten Armen der Vernichtung des eigenen Arbeitsplatzes und der Existenz zusehen möchte, ist offener für kollektive Formen einer Weiterführung der Produktion. Warum also nicht den Laden selbst übernehmen und unter eigener Regie weiterführen, wenn die Privateigentümer nicht mehr können oder wollen?

»Wir möchten aus dem grob gestrickten Dualismus und der Scheinalternative zwischen staatskommunistischer Kommandowirtschaft und freier profit-orientierter Wirtschaft ausbrechen«, erklärt Elmar Wiegand von der Aktion gegen Arbeitsunrecht, der zusammen mit anderen die Veranstaltung maßgeblich initiiert und vorbereitet hat. »Vergesellschaftung und demokratisches Wirtschaften können auch in Form von Kooperativen und Genossenschaften geschehen«, ist er überzeugt. »Hier gibt es eine lange und lebendige Tradition.« Ein konkreter Anlass für die Veranstaltung war die Schließung des Wombat's Hostel Berlin im August 2019. »Das Hotel war profitabel und wurde geschlossen. Motiv: Union Busting«, so Wiegand.

Und weil diese Traditionen vielfach in Vergessenheit geraten sind, soll die Konferenz aufklären und nach Angaben der Veranstalter eine kollektive Übernahme von Betrieben durch die Belegschaft als realistische Perspektive darstellen. »Rettungsgelder in der Krise sinnvoll investieren«, so eine zentrale Forderung. »Bedingungslose Rettung von Großkonzernen ist keine Lösung.« Von der Bundesregierung und der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) erwarten sie stattdessen eine wohlwollende Förderung von Belegschaftsübernahmen in Form von Genossenschaften und Kooperativen.

Als ein internationales Vorbild dient dabei das italienische Marcora-Gesetz, das seit 1985 Belegschaften die Übernahme ihres Betriebs ermöglicht. Über entsprechende Erfahrungen in Italien und die Welle von Betriebsbesetzungen in Argentinien seit der Jahrtausendwende wird der Wissenschaftler Marcelo Vieta von der Universität Toronto per Live-Zuschaltung referieren. Neben weiteren kapitalismuskritischen Wissenschaftlern, die seit Jahrzehnten Alternativen untersuchen und propagieren, werden sich auch etliche Praktiker an den Debatten beteiligen. So etwa die Berlinerin Jenny Stupka, Sprecherin der Initiative »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«. Die anhaltende Kampagne hat die Begriffe Enteignung und Vergesellschaftung weit über die Bundeshauptstadt hinaus wieder populär gemacht.

Viel zu berichten hat auch der Hesse Walter Strasheim-Weitz. Der gelernte Finanzbuchhalter war über lange Jahre Betriebsratsvorsitzender des Öko-Versandhändlers Hess-Natur in Butzbach. Vor gut einem Jahrzehnt engagierte er sich in einem aufreibenden Kampf gegen die Übernahme des Betriebs durch renditehungrige Finanzinvestoren. Die von ihm 2011 mit gegründete und hoffnungsvoll gestartete Genossenschaft hnGeno eG, die als Grundlage für eine Betriebsübernahme gedacht war, verlor schließlich den Kampf gegen das große Kapital. Strasheim-Weitz schied nach gezieltem Mobbing aus der Firma aus. »Das war eine harte Zeit« blickt er zurück. Er hat seine Erfahrungen verarbeitet und gibt sie heute als Referent bei gewerkschaftlichen Seminaren und als engagierter Berater bei Genossenschaftsgründungen weiter.

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