Apokalypse 2016
Patti Smith
Am liebsten schreibt Patti Smith ja über ihre Essgewohnheiten: »Am Morgen trank ich im Stehen zwei Gläser Mineralwasser und aß Rührei mit Frühlingszwiebeln. (…) Es war das Jahr des Affen, ich war in neuem Territorium gelandet, auf einer schattenlosen Straße unter der molekularen Sonne.« Ihr neues Buch hat die Autorin aber nach dem chinesischen Mondjahr betitelt, das im Februar 2016 begann. »Im Jahr des Affen« - ein weiteres Werk mit tagebuchartig erzählten Erinnerungen, durchzogen von Traumfetzen und literarischen Anspielungen. Gewohntes von Patti Smith, behutsam und sinnig übersetzt von Brigitte Jakobeit.
2016 - das war ein einschneidendes Jahr für die Vereinigten Staaten, und ein trauriges für Smith. Die Sängerin und Dichterin, die im Zuge der US-Punkbewegung der Siebziger Jahre mit Alben wie »Horses« zu Weltruhm gelangte, beginnt das Jahr mit Krankenbesuchen. Noch vor ihrer Konzertreihe in San Francisco wird Smiths enger Freund Sandy Pearlman bewusstlos aufgefunden. Ein halbes Jahr später stirbt der Musikproduzent an den Folgen einer Hirnblutung. Pearlman ist einer der ältesten Weggefährten der »Godmother of Punk«, er war der Erste, der ihr nach einer Lyrikperformance 1971 empfahl, eine Rockband zu gründen. »Ich lachte nur und erklärte ihm, ich hätte schon einen guten Job im Buchladen«, schreibt Smith.
Solche Anekdoten machen »Im Jahr des Affen« lesenswert. Auch folgt man der Autorin gern bei der nüchternen Auflistung ihrer Alltagstätigkeiten. Wir erfahren: Patti Smith liebt, neben Friedhofsspaziergängen und französischen Autoren, Kaffee. Schwarzen Kaffee, grünen Kaffee, Kaffee mit Zimt, ecuadorianischen, kubanischen, oder solchen, der nach aztekischer Schokolade schmeckt. Einmal trinkt sie sogar Nescafé aus Tütchen, als sich am verregneten kalifornischen Neujahrsmorgen nichts anderes auftreiben lässt.
Das Buch ist jedoch nicht frei von esoterisch angehauchtem Dekor. Obendrein haben ihre Analogien, die sie meist auf Denker und Literaten bezieht, mitunter etwas Altkluges. Am schwächsten ist »Im Jahr des Affen« immer dann, wenn es Politik behandelt: Donald Trumps Amtseinführung als US-Präsident, die Smith auf einer Leinwand am Times Square verfolgt, vergleicht sie mit einer biblischen Heuschreckenplage. Doch ihr Zorn, in dem sie den nie namentlich erwähnten Trump als »pöbelnden Grobian« bezeichnet, steigert sich in eine religiös aufgeladene Erregung ohne poetischen Mehrwert.
2016 steht auch Smiths 70. Geburtstag an. Die Autorin ertappt sich dabei, die vielen Toten in ihrem Leben stärker zu vermissen. Ihr Mann, der Gitarrist Fred »Sonic« Smith, und der Fotograf Robert Mapplethorpe, deren Leben und Sterben sie bereits in den Romanen »M Train« und »Just Kids« behandelt hatte, finden jedoch nur kurz erneut Erwähnung.
Humorvoll wird es vor allem, wenn sie von dem schrägen Paar berichtet, dass sie nur unter der Bedingung mitnimmt, während der Fahrt kein Wort zu sagen. Während einer Pause lassen sie die Mitfahrerin an der Tankstelle stehen. Denn: Smith hatte sich dazu hinreißen lassen, die geschmackvolle Playlist zu loben. Am Ende steht noch eine Popkulturreferenz: Patti Smith sitzt in einer drittklassigen Bar und diskutiert mit einem Fremden über »Apocalypse Now«.
Patti Smith: Im Jahr des Affen. A. d. amerik. Engl. v. Brigitte Jakobeit. Kiepenheuer & Witsch, 208 S., geb., 20 €.
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