Kaufen und glücklich werden!

Lecker an Kunst sattsehen: Die Stiftung Domäne Dahlem in Berlin zeigt die Ausstellung »Urwald, Acker, Schrebergarten«

  • Maximilian Schäffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Domäne Dahlem ist ein Freizeitrefugium im Südwesten Berlins. Herzstück des Areals sind ein kleiner Bioland-Agrarbetrieb mit Hofladen und Restauration sowie das »Herrenhaus«, ein Museum, das sich vor allem auf eine Sammlung rund um die deutsche Handels- und Kulturgeschichte konzentriert. Aktuell findet sich dort jedoch eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst mit dem Titel »Urwald, Acker, Schrebergarten«, die sich mit Konzepten erfundener Paradiese beschäftigt.

Während also im Erdgeschoss Wurstmaschinen und Kaufmannsläden aus dem frühen 20. Jahrhundert zu besichtigen sind, blinken oben die Leuchtbuchstaben der Postmoderne. Künstler Jan Brokof (*1977) platziert Letztere in seiner Installation »Was will die Neue von der Alten Welt?« vor einer mannshohen Collage in Schwarz-Weiß. Ein Urwaldpanorama, vor dem zwei klischeehaft dargestellte Afrikaner einem stolzen Preußen winken, ist mit dem Wort »Exotika« übertitelt. Besagte Leuchtbuchstaben wiederholen dieses Thema, während ein »Edeka«-Schild es auf sprachlicher Ebene sofort ins Lächerliche zieht und selbstverständlich dankbare Verweise auf die Konsumgesellschaft bereithält.

Noch unmittelbarer auf die wohlig warmen Versprechen des Kaufbaren fixiert, ist Brokof in seiner zweiten vorliegenden Arbeit namens »Energetische Sammlung«. Über sechs Jahre hinweg sammelte er Energy-Drink-Dosen verschiedenster Marken. So unterschiedlich wie farbenfroh sich die Erzeugnisse nach außen hin geben mögen, so gleich sind ihre Werbeversprechen im Kern: Kraft und Mut, Geschwindigkeit und allzu oft maskuline Härte. Dass Brokof seine neuere Kunstgeschichte kennt, verrät die aufdringlich objektfetischistische Anordnung der Exponate à la Damien Hirst - alte Wurst- und Scheuermittel-Verpackungen, die den Red-Bull-Derivaten in ihren Ausmaßen ähneln, stehen daneben, erweitern die kulturhistorische Dimension.

Derartige Abbildungskonventionen reproduziert auch die norwegische Künstlerin Verena Issel (*1982); allerdings sind die von ihr hinterfragten Ikonen eher personeller Natur. »Noli Me Tangere« (Berühre mich nicht) heißt eine raumfüllende Installation, die aus eigenen Gemälden und Objekten sowie einem Altarbild aus der Kapelle des Herrenhauses besteht. Issel arrangiert hier einen assoziativen Themenkomplex zur Auferstehung Jesu. Ludwig van Beethoven, ein Haufen Styropornudeln, Computermonitore, bunte Pfeifenputzer und Strichmännchen häufen sich zu einer ironischen Bestandsaufnahme christlicher Ikonologie. Wer sich an die Videos des Vaporwave-Trends vor ein paar Jahren, das Maskentheater Mummenschanz aus den 90ern und die Modelliermasse »Fimo« erinnert, versteht auch Issels Ästhetik der infantilisierten Popkulturreferenzen. Einen Raum weiter bastelt sie in dieser Weise meterhohe Palmen aus ähnlichen Materialien.

Die Auseinandersetzung mit ausgewählten Gegenständen der Sammlung Domäne Dahlem steht konzeptuell im Mittelpunkt der Ausstellung. Online bekamen die Künstler vorab Einsicht in das knapp 3000 Artikel umfassende Museumsarchiv, vermischten dann bestehende Arbeiten mit extra zu diesem Anlass angefertigten. Besonders Klaus Hartmann (*1969) und Anne Neukamp (1976*) nehmen sich der Vorgabe an. Während Hartmann im Süßwarenparadies schwelgt und Zuckerverpackungen vergangener Dekaden vergleicht, Zuckerstangen im Ölbild namens »Candy Station« einen Bahnübergang öffnen lässt und die mittlerweile omnipräsenten pinken Flamingos auf Papier wiederkäut, konzentriert sich Neukamp auf Pattern der Werbeindustrie, legt ein riesiges gusseisernes Waffeleisen auf Plastikeinkaufstüten und erkennt das Pop-Art-Potenzial von Gießformen für Pralinen aus den 1950er Jahren.

Ausschließlich an Wänden hängen hingegen die Werke von Joanna Bambi Buchowska (*1967) und Daniel M Thurau (*1974). Beide reflektieren das Thema der Paradiesvorstellungen in ihren Werken noch eindeutiger als ihre Kollegen. Buchowska zeigt verschiedene, eher großformatige Collagen auf Leinwand, die meist surrealistische Gartenlandschaften imaginieren - kleinteilige Wimmelbilder, in denen man keine Hieronymus-Bosch-Grausamkeiten, sondern Fragmente kleinbürgerlicher Idyllen entdeckt. Thurau malt grobe Dickichte, übergroße Mohnblumen und speiende Vulkane, vorwiegend in Blau und Pink. Einem Reklameschild des immer noch erhältlichen Kokosfetts »Palmin« stellt er eine eigene stilisierte Palme zur Seite. Wieder geht es ums Kaufen und Glücklichwerden.

Kurator Dennis Novak entschied sich für eine textlose Hängung der Arbeiten. Speziell im Hinblick auf den unsubtilen Bildungsauftrag des restlichen Hauses ist dies ein Glücksgriff. Da das Thema klar formuliert ist und weil die gestalterischen wie inhaltlichen Bezüge sich beim Rundgang auch für kunsthistorisch weniger Kundige plausibel erschließen, ist die Ausstellung gelungen. Einführungstafeln mit blümeranten Reizwörtern und schmeichelnde Beschreibungsorgien muss man zum Glück nicht lesen. Wenn schon die diesjährige Bratwurstmeisterschaft abgesagt wurde, kann man sich hier einfach überraschend lecker an Kunst sattsehen.

»Urwald, Acker, Schrebergarten. Erfundene Paradiese«, bis 5.7., Stiftung Domäne Dahlem - Landgut und Museum, Berlin, Königin-Luise-Straße 49.

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