Das Hässliche in Schönes verwandeln
Das Jazz-Ensemble Irreversible Entanglements weiß, dass die Gegenwart Widerstand erfordert
Jazz als Widerstandsmusik hat eine lange Tradition, einige der schönsten Alben der Musikgeschichte finden sich hier. Nach Jahren, in denen der Jazz sich wahlweise in akademische Gefilde zurückgezogen oder mit Gefälligkeit und reiner Archivpflege seine Zeit durchgebracht hat, erscheinen in letzter Zeit Monat für Monat auch jenseits der Nischen, in denen all das überwintert hat, Platten, die konfrontativ sind und vor Ideen überborden.
Die Lyrikerin und Sängerin Camae Ayewa hat als Moor Mother drei Alben mit rauen Elektronik-Collagen produziert, die den Hintergrund für drastische Beschreibungen schwarzen Lebens in den USA bilden. Musik, die versucht, den Hörer als jemanden zu adressieren, der sich zu dem verhalten soll, was er da hört, und die eine Positionierung einfordert. Auf dem letzten Moor-Mother-Album, »Analog Fluids Of Sonic Black Holes« war die Zeile zu finden: »You think this hell won’t come for you?!« Wer sich unbeteiligt wähnt, irrt.
Mit ihrer Jazzband Irreversible Entanglements schließt Camae Ayewa an die Idee von Free Jazz als Medium politischen Widerstands an. Sun Ra klingt durch, nicht zuletzt in den vielen Verweisen in den Texten auf den Afrofuturismus, aber auch in den immer wieder schön freidrehenden Trompete-Saxofon-Kaskaden von Keit Neuringer und Aquiles Navarro. Allerdings spielen Irreversible Entanglements eine vergleichsweise zugängliche freie Musik - immer melodisch und die Grenze zum Fragmentierten fast nie überschreitend. Die Basis des Ganzen ist ein konstant swingendes Bass-Schlagzeug-Duo. Auch wenn die Tonalität eine andere ist, erinnert die Energie, die hier entsteht, immer wieder an die Alben des Ornette Coleman Quartet. Wenn man weiß, wie es bestellt ist um die Welt und Gefälligkeit damit ausgeschlossen ist, wird Schönheit zu einer seltenen Sache. Luke Stewart formuliert es so: »We take the ugliest parts of the world and make them beautiful.«
Die Stimme Ayewas setzt da keinen Kontrapunkt, sondern geht mit derselben nervösen Anspannung in die Vollen wie die vier Musiker. »They always have my back«, sagt Ayewa über ihre Band. Immer wieder geht es in diesen Texten um die Verbindung von Geschichte und Gegenwart, immer wieder geht es darum, dass die Gegenwart Widerstand erfordert. Wenn Ayema im Opener »The Code Noir/Amina« erst einmal fragt: »At what point do we stand up?«, bevor sie wütend hinterherschickt: »At what point do we give a shit?«, klingt das noch vergleichsweise nüchtern-agitatorisch. Wenn es um die Lebensrealität der eigenen Community und ihrer Geschichte geht, kippt die Stimme immer wieder in Atemlosigkeit und ins Panische. In dieser Verdichtung konzentrieren Irreversible Entanglements in ihrer Musik ein Merkmal, das dem Jazz bis vor Kurzem zu häufig gefehlt hat: eine dezidiert politisch codierte Dringlichkeit.
Irreversible Entanglements: »Who Sent You?« (International Anthem/!K7) https://intlanthem.bandcamp.com/
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