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  • Graf von Münchhausen

Weltstar wider Willen

Vor 300 Jahren wurde Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen geboren.

  • Olaf Neumann
  • Lesedauer: 5 Min.

Donald Trump, der Lügenbaron«, titelte eine deutsche Tageszeitung, nachdem die »Washington Post« dem US-Präsidenten zehn falsche Aussagen pro Tag nachgewiesen hatte. Schon Otto von Bismarck, der erste deutsche Kanzler (1815-1898), wusste, dass in der Welt der Politik nie so viel gelogen werde wie »vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd«. Die Tradition der Lügengeschichten führt sogar noch viel weiter zurück - bis ins klassische Altertum und in die Erzähltradition der großen Weltreligionen.

Der am 11. Mai 1720 in Bodenwerder an der Weser geborene Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen war jedoch ein Mann der Superlative, der es mit der Wahrheit alles andere als genau nahm. Verbrieft ist, dass der weitgehend vaterlos aufgewachsene Junge im Schloss Bevern zum Pagen ausgebildet wurde. Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, der als General am Zarenhof in St. Petersburg lebte, bestellte bei seinem Bruder Prinz Karl Ersatz für seinen im Krieg gefallenen Pagen. Derartiges war adliger Brauch. Für den 17-jährigen Hieronymus begann nun das Abenteuer seines Lebens. 1738 zog er mit seinem Dienstherrn in den Russisch-Österreichischen Türkenkrieg, in dem es um Zugang zum Schwarzen Meer ging. Bei der Belagerung der Festung Otschakow an der Halbinsel Krim will Hieronymus seinen berühmten Ritt auf der Kanonenkugel vollführt haben. Vermutlich war er jedoch bei den Kriegshandlungen gar nicht anwesend.

Wie ein umherstreifender Till Eulenspiegel des 18. Jahrhunderts, der sich dumm stellt, tatsächlich aber gerissen ist, studierte Münchhausen akribisch die Gepflogenheiten des Hochadels: dessen Gehässigkeit, Hinterlist, Verschwendungssucht, Benimmregeln und vornehmes Parlieren, Glanz und Gloria, Schein und Sein. Er war Zeuge, als Herzog Anton Ulrich die Prinzessin Anna Leopoldowna von Mecklenburg heiratete, eine mittelbare Anwärterin auf den russischen Zarenthron. Eigentlich sprach alles für ein äußerst bequemes Leben am russischen Hofe, aber eine Verschwörung ließ den schönen Traum jäh zerplatzen. Elisabeth Petrowna, Tochter Peters des Großen, putschte sich in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1741 an die Macht, während Anna Leopoldowna, ihr Mann Anton Ulrich, deren Kinder und der nunmehrige Leutnant Münchhausen nach Riga verbannt wurden. Hieronymus freundete sich dort mit dem Landadligen Gustav von Dunten an, mit dem er regelmäßig auf Entenjagd ging. 1744 ehelichte er dessen Tochter Jacobine. In den Schenken der Garnisonsstadt hat der junge Offizier - wahrscheinlich angeregt mehr durch geistige Getränke als geistreiche Gespräche - sein Erzähltalent entwickelt. Vor 300 Jahren gab es noch keine »Faktenchecker«, weshalb seine fantasievollen Geschichten sich mit der Zeit verselbstständigten und schließlich zu literarischen Ehren kamen.

1750 kehrte Rittmeister Münchhausen ins Zivilleben und an seinen Geburtsort zurück. In Bodenwerder hatte er das elterliche Gut geerbt, wo er fortan mit seiner Frau das süße Leben eines Landedelmanns führte - und seine Gäste im Pavillon am Weserufer mit fabelhaften Geschichten unterhielt. Laut dem digitalen Wörterbuch der deutschen Umgangssprache bezeichnet der Begriff »Lügenbaron« einen Menschen, der den Hang hat, Dinge zu behaupten, die derart schillernd sind, dass sie einfach nicht stimmen können. Der niedersächsische Adlige wäre aber heute nicht als Lügenbaron bekannt, nicht verewigt in etlichen Filmen und Büchern, wenn ihm nicht begnadetere Fabulierer noch hanebüchenere Storys in den Mund gelegt hätten.

Allen voran Gottfried August Bürger. Der hoch gebildete Göttinger Autor aus der Zeit der Aufklärung war ein ausgewiesener Sprachschöpfer. Zu seinen verbalen Kreationen gehören Wörter wie »Haremswächter«, »querfeldein«, »sattelfest«, »Gemeingut«, »Friedensbund« oder »tiefbetrübt«. Bürger legte großen Wert darauf, dass seine Dichtung gemeinverständlich blieb. Denn er wollte neben den Belesenen auch die bildungsferne Gesellschaftsschicht erreichen, die schwerlich flüssig - wenn überhaupt - lesen und sich noch weniger ein Buch leisten konnte. Deshalb war er ständig auf der Suche nach interessanten volkstümlichen Stoffen. Dabei kam ihm zupass, dass der in Hannover geborene Schriftsteller und Gelehrte Rudolf Erich Raspe in England in Geldnot geraten war und darob 17 zweifelhafte »M-h-s-nsche Geschichten« aus der Zeitschrift »Vade Mecum für lustige Leute« Ende 1785 ins Englische übertrug. Wie das Magazin an Münchhausens Anekdoten gekommen war, ist nicht überliefert. Raspes anonym veröffentlichtes Büchlein »Baron Munchausen’s Narrative of his Marvellous Travels and Campaigns in Russia« war jedenfalls auf Anhieb so erfolgreich, dass er selbst zum Schwindelmeier wurde und zahlreiche neue irrwitzige Abenteuer dazudichtete. Dabei bediente er sich schamlos der Anekdoten des antiken griechischen Schriftstellers Lukian von Samosata wie auch der französischen Ballonfahrer Jean-Pierre Blanchard sowie der Gebrüder Joseph Michel und Jacques Étienne Montgolfier.

1786 erschien schließlich Gottfried August Bürgers deutsche Übersetzung der Raspe-Texte unter dem Titel »Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen«. Allerdings erlaubte sich auch der Göttinger bei der Übersetzung große Freiheiten. Wie schon in England wurden die Münchhausiaden nun auch in Deutschland zu einem großen Volksmärchenbuch. Ähnlich frei gingen die Übersetzer der Werke Raspes und Bürgers ins Französische, Holländische und Schwedische vor. Je toller die Geschichten, wie etwa die vom Baron, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf zieht, desto besser.

Inzwischen gibt es über 100 Geschichten, die von Münchhausen stammen sollen oder in denen er eine Rolle spielt. Nur vier gehen jedoch wirklich auf den echten Baron zurück. Der hatte die Bücher seinerzeit natürlich zur Kenntnis genommen und war überhaupt nicht amüsiert. Er kochte vor Wut, weil er sich darin auf ehrverletzende Weise lächerlich gemacht sah. Das verunglimpfende Wort vom »Lügenbaron« geht jedoch auf die Anwälte seiner zweiten, leichtlebigen Frau Bernardine zurück, gegen die der greise Russland-Veteran einen gnadenlosen Scheidungskrieg führte. Konträr zu den Überlieferungen starb Münchhausen keinen Heldentod, sondern verschied am 22. Februar 1797 in Bodenwerder, vergrämt, mutterseelenallein und pleite. Sein Name aber lebte weiter und steht heute Pate für eine literarische Gattung sowie für seltene psychische Störungen, aber auch für eine Rettungstechnik im Bergsport.

Im Gegensatz zu vielen heutigen dreisten Lügenbaronen in Politik und Populismus hat Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen jedoch dem Gemeinwohl keinen Schaden zugefügt.

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