Die Wirklichkeit der Freiheit

»Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert« im Deutschen Historischen Museum in Berlin

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 5 Min.

Gestern gab es schon mal, natürlich nur in kleinen Gruppen, für die Hauptstadtpresse die Möglichkeit, die neue Sonderausstellung des Deutschen Historischen Museums vorab zu besichtigen. Ab 11. Mai soll die Exposition »Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert« für den Publikumsverkehr geöffnet werden. Das Tragen einer Mund-Nasen-Maske ist allerdings Voraussetzung für den Besuch. Wegen der Pandemie hat man den ursprünglich für Ende März vorgesehenen Eröffnungstermin nicht einhalten können. Das Begleitbuch hingegen ist für Interessierte bereits seit einigen Wochen auf dem Markt, auch waren Online-Einblicke in die Schau schon möglich.

Die von Monika Boll unter Mitarbeit von Dorlis Blumen kuratierte Ausstellung zeichnet ein durchaus kritisches Bild der bedeutenden jüdischen Philosophin, politischen Denkerin und Publizistin. Besondere Aufmerksamkeit erfährt natürlich der Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961, in dem der SS-Obersturmbannführer für den millionenfachen Mord an Juden zur Verantwortung gezogen und zum Tode verurteilt worden war. In ihren Artikeln für den »New Yorker« und in ihrem darauf fußenden Buch über die »Banalität des Bösen«, in dem Hannah Arendt den Angeklagten, Adolf Eichmann, den »größten Verbrecher seiner Zeit« nannte, der dennoch ein »Hanswurst« gewesen sei, wurde die Prozessführung scharf kritisiert. Diese habe sich ihrer Auffassung nach nicht ausschließlich auf die von diesem konkreten Schreibtischtäter verantworteten Taten bezogen. Hierin gibt ihr inzwischen die internationale Rechtswissenschaft weitgehend Recht. Ihre schwerwiegendere Behauptung jedoch, die Judenräte hätten sich als Vollzugsgehilfen der Verfolger betätigt, ist umstritten und hält letztlich der historischen Wahrheit nicht stand. Vor allem ihr Wort von der »Banalität des Bösen« hat weltweit ein starkes Echo hervorgerufen, ihr auch viel Kritik eingebracht. Ihre Freundschaft zum jüdischen Religionsphilosophen Gerschom Scholem ist daran zerbrochen, wie der Fritz-Bauer-Forscher Werner Renz in seinem Essay im vorzüglichen, reichlich illustrierten Katalog anmerkt.

Mehrere Essays darin sowie Texttafeln in der Ausstellung widmen sich dem jüdischen Selbstverständnis von Hannah Arendt und ihrer kritischen Einstellung zum Zionismus. Sie empfand sich zeitlebens als Jüdin, obwohl sie die Religion nie praktizierte. Sie identifizierte sich insbesondere mit Rachel Varnhagen, der sie mit ihrer »Lebensgeschichte einer Jüdin aus der Romantik« ein Denkmal setzte und die sie gar als ihre »älteste Freundin« bezeichnete. Vehement polemisierte Hannah Arendt, obwohl aus Deutschland vertrieben, gegen die Gegenüberstellung von »deutscher Frau« und »jüdischer Frau«; als letztere war sie selbst dereinst von der NS-getreuen Gattin ihres Geliebten aus Marburger Studententagen, Martin Heidegger, tituliert worden. Zu sehen ist in der über 300 Objekte zeigenden Schau unter anderem ein Studentenausweis von Hannah Arendt, 1928 ausgestellt von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. Zu den gegenständlichen Exponaten gehören des Weiteren ein Pelzcape, die goldene Brosche mit Brillanten und Perlmutt, die Hannah Arendt während eines Interviews mit Günter Gaus trug, sowie ein Zigarettenetui der Kettenraucherin, zahlreiche Fotos, darunter eine Aufnahme, die sie beim Eichmann-Prozess zeigt, und etliche Filmausschnitte.

Mit Nazis hatte Hannah Arendt auch noch in Nachkriegsdeutschland zu tun. Ihr Doktorvater Karl Jaspers hatte ihr für das Varnhagen-Buch den Piper-Verlag empfohlen. Dort geriet sie an den Cheflektor Hans Rößner, der Mitglied der SS, Referent des faschistischen Sicherheitsdienstes (SD) und Abteilungsleiter im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) war - was sie nicht wusste. In ihrem Wiedergutmachungsverfahren, das sie - von Adolf Arndt und Martin Hirsch vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten - erst nach Jahren gewann, hat ihr einstiger Studienfreund Benno von Wiese ein sie begünstigendes Gutachten verfasst. Auch dieser war Mitglied der NSDAP sowie sogenannter Blockwart; während der NS-Zeit hatte er Professuren an mehreren Universitäten inne und schrieb für die Goebbels-Zeitschrift »Das Reich«.

Hannah Arendts Wiederbegegnung mit Deutschland nach Jahren des Exils war von - verständlicher - Skepsis überschattet, zugleich jedoch verbunden mit Optimismus und Hoffnung in die Nachkriegsjugend. Deren Rebellion in den 60er Jahren kritisierte sie jedoch als zu theoretisch und wenig praxisnah - im Gegensatz zur Revolte der Altersgefährten in Frankreich. Mit dem 68er Daniel Cohn Bendit und dessen Familie war sie eng befreundet.

Ausstellung und Begleitband offenbaren, dass Hannah Arendt die Weltpolitik stets aufmerksam verfolgte. Mit ihrem ersten Ehemann, dem deutsch-österreichischen Philosophen, Dichter und Schriftsteller Günther Anders, hatte sie eine heftige Kontroverse über die Atomrüstung. Hannah Arendt vertrat die Auffassung, dass zur Sicherung der politischen Freiheit Drohgebärden, notfalls sogar der Einsatz von Atomwaffen gerechtfertigt seien.

Freiheit war für Hannah Arendt die notwendige Voraussetzung für jegliche politische Betätigung. Jedwede politische Diskriminierung sei zu verdammen, betonte sie immer wieder. Ganz anders urteilte sie jedoch im privaten Bereich. Die vehemente Gegnerin der politischen Rassendiskriminierung zeigte Verständnis für die Weigerung »weißer« Eltern in den USA, ihre Kinder zusammen mit farbigen Schülern unterrichten zu lassen. Dies dürfte manchen Fan von Hannah Arendt schockieren.

Breiten Raum nimmt in der Ausstellung sowie in den Essays im Katalog die Totalitarismustheorie ein, die von Hannah Arendt in ihrem 1951 auf Englisch erschienen Buch »The Origin of Totalitarismus« (1955 in Deutsch: »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft«) maßgeblich weiterentwickelt worden ist. In ihrem Standardwerk schrieb sie: »Das Wesentliche der totalitären Herrschaft liegt also nicht darin, dass sie bestimmte Freiheiten beschneidet oder beseitigt, noch darin, dass sie die Liebe zur Freiheit aus den menschlichen Herzen ausrottet; sondern einzig darin, dass sie die Menschen, so wie sie sind, mit solcher Gewalt in das eiserne Band des Terrors schließt, dass der Raum des Handelns, und dies allein ist die Wirklichkeit der Freiheit, verschwindet.«

Optisch besonders eindrucksvoll ist die Fotostrecke von Fred Stein, der Hannah Arendt in den Jahren 1944 bis 1966 mehrfach porträtierte. Bleibende Dokumente der Freundschaft sind die Aufnahmen, die Hannah Arendt selbst mit ihrer 1961 gekauften Minox machte.

Gleichsam als Schlusswort zum kritischen Blick auf eine berühmte Philosophin konstatiert im Begleitband die Direktorin des Potsdamer Einstein Forums, Susan Neiman: »Und wenn wir auch irren sollten, wie Arendt im Falle Eichmanns, so lernen wir doch auch eine kantische Wahrheit, nämlich die, dass ›sehr gelehrte‹ Menschen vom ›gemeinsten Verstande‹ lernen können.«

»Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert«, Deutsches Historisches Museum, Berlin, ab 11. Mai, täglich 10 bis 18 Uhr, Eintritt 8 €, erm. 4 €, bis 18 Jahre frei. Doris Blume/Monika Boll/Raphael Gross (Hg.): Hannah Arendt und das 20. Jahrhundert. Piper, 286 S., geb., 22 €.

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