Die Gunst der Stunde

In Mexiko wird die Coronapause genutzt, um in der ersten Fußballliga den Auf- und Abstieg abzuschaffen

  • Andreas Knobloch, Havanna
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist noch nicht lange her, da erregte die zweite mexikanische Fußballliga Ascenso MX international mehr Aufmerksamkeit als die höchste Spielklasse des Landes. Das lag vor allem an Diego Maradona, der 2018 bis 2019 Trainer des Provinzklubs Dorados de Sinaloa war. Es gibt sogar eine Netflix-Serie über Maradonas Zeit in Culiacán.

Elf Monate nach dessen Abschied steht Mexikos zweite Liga nun vor dem Aus. Besiegelt wurde das Mitte April in einer Videoschalte von Ligafunktionären und Klubeignern der 1. und 2. mexikanischen Fußballligen. Wegen der angespannten wirtschaftlichen Situation, die sich durch die Coronakrise noch verschärfte, werde der Auf- und Abstieg für fünf Jahre ausgesetzt, wurde die knappe Mehrheitsentscheidung begründet. Die Saison der Ascenso MX, die wie der gesamte mexikanische Fußball seit dem 15. März zwangsweise pausiert, wurde abgebrochen. Einen Zweitligameister gibt es 2020 nicht.

Die Liga sei nicht mehr nachhaltig gewesen, sagte der Präsident der höchsten Spielklasse Liga MX, Enrique Bonilla - zu wenige Stadionbesuche und zu geringe Einnahmen. Daher sei eine finanzielle Umstrukturierung notwendig. Mit der Aussetzung der Auf- und Abstiegsregelung sollen die durch die Krise geschwächten Vereine finanziell entlastet werden, indem ihnen der Erfolgsdruck genommen werde, hieß es.

Erstmals seit 70 Jahren gibt es damit in Mexiko keine Auf- und Absteiger. Stattdessen soll die zweite Liga in eine U23-Liga umgewandelt werden. In den kommenden fünf Jahren erhält jeder der zwölf Zweitligaklubs 20 Millionen Pesos (rund 750 000 Euro) an jährlicher Finanzhilfe aus dem Oberhaus.

Das sorgt natürlich für Diskussionen. Das Verschwinden der bislang bekannten zweiten Liga werde starke soziale, wirtschaftliche und emotionale Auswirkungen auf die betroffenen Städte haben, warnt Claudio Suárez, ehemaliger Kapitän der mexikanischen Fußballauswahl. Das könne nicht durch die »Entwicklungsliga« der U23-Spieler ausgeglichen werden. »Was ist der Sinn ohne Aufstieg? Was ist die Motivation?«, fragt der Rekordnationalspieler.

Mit dieser Kritik ist Suárez nicht allein. »Die Botschaften sind widersprüchlich«, findet Luis Miguel Salvador, Sportdirektor des Zweitligisten Venados de Mérida. Ihm habe ein Klubbesitzer bestätigt, dass auch die 1. Liga finanziell blute. »Trotzdem wollen sie nun den Zweitligateams 20 Millionen Pesos pro Jahr anbieten. Das ergibt keinen Sinn. Warum nicht wirklich den Aufstieg stärken? Sie ergreifen doch nur Maßnahmen, um einige Teams der ersten Liga zu schützen«, so Salvador.

Ähnlich argumentiert Alfonso Rippa vom Klub Atlético Zacatepec. Rippa ist einer der Zweitligavertreter in der Spielergewerkschaft AMFPro. Das Geld, das nun in die Entwicklungsliga fließen soll, hätte auch als Hilfe bei Beibehaltung der Auf- und Abstiegsregelung fließen können. Leidtragende seien viele Fußballer, so Rippa: »Von einem Tag auf den anderen werden sie arbeitslos.« Mindestens 270 Spieler seien über 23 Jahre alt, was die neue Obergrenze in der Entwicklungsliga sein soll.

Einer der Förderer der Initiative soll Alejandro Irarragorri sein, Eigentümer der Erstligaklubs Santos und Atlas, das in der ersten Liga an letzter Stelle in der Tabelle stand und vom Abstieg bedroht war. Offiziell soll der Vorschlag von Tampico Madero gekommen sein. Ein Zweitligaverein, doch auch der gehört Alejandro Irarragorri.

Der Besitzer mehrerer Klubs verteidigte sich in einem über soziale Netzwerke veröffentlichten Brief. Es gebe Dutzende Ligen im Ausland, in die mexikanische Zweitligaprofis wechseln könnten. Auch sei die lange bestehende Finanzkrise der Ascenso MX durch die Corona-Pandemie »verstärkt und beschleunigt« worden. Daher sei es nicht möglich, den Teams dieser Kategorie zu erlauben, ohne die entsprechenden Sicherheiten in die erste Liga aufzusteigen.

Die Spielergewerkschaft AMFPro kritisierte in einer Pressemitteilung dagegen den Mangel an Solidarität unter Ligafunktionären und Klubeignern: »Die Liebe zu den Farben des Klubs zählt nicht mehr; es überwiegt das Interesse der Mächtigen. Deren Hauptanliegen ist ein wirtschaftliches. Das ist zwar verständlich, aber unausgewogen und unfair gegenüber jenen, die den Sport ermöglichen. Der mexikanische Fußball hat seinen Tiefpunkt erreicht.«

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