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Panzer zählen reicht nicht mehr
Militärs rekrutieren künstliche Intelligenz. Rüstungskontrolle wird damit komplizierter
Folgt man den Sipri-Berechnungen, so wurden 2,2 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes für Kriege und Kriegsvorbereitungen verpulvert. Deutschland landete laut dem am Montag veröffentlichten Bericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts zu den Wehretats der Staaten auf Platz sieben. Klarer Spitzenreiter bei den Militärausgaben aber bleiben die USA, die 2019 rund 732 Milliarden Dollar für ihre »Verteidigung« aufwandten. 38 Prozent der globalen Rüstungsausgaben entfielen damit auf die Vereinigten Staaten. Auf Platz zwei folgt China.
Die Friedensforscher analysierten dieses Mal Daten aus 150 Ländern. Sie stützen sich dabei nicht nur auf offizielle Angaben der Regierungen über ihr Verteidigungsbudget, sondern beziehen auch Daten wie die Statistiken von Zentralbanken, Aussagen der Nato sowie Recherchen und Datenbanken der Vereinten Nationen ein. Auch die Ausgaben für Personal, Militärhilfen sowie militärische Forschung und Entwicklung wurden analysiert.
Dabei entsteht allerdings eine gewisse Unschärfe. Die wird in den kommenden Jahrzehnten zunehmen, denn neben den traditionellen Waffensystemen, der entsprechenden Munition und anderer militärischer Gerätschaften nimmt der Anteil der immateriellen Leistungen für Aufrüstung und Ausrüstung des Militärs zu.
Mittlerweile ist »der« Mensch nicht mehr in der Lage, die Fülle an komplexen Datensätzen in einer adäquaten Zeit zu verarbeiten. Computer mit extremen Rechenleistungen können das. Sie schaffen damit Voraussetzung für immer leistungsfähigere und komplexere Systeme der künstlichen Intelligenz (KI) und Robotertechnologien. Auch Waffen werden immer »intelligenter«, lernfähiger und damit autonomer. Dies verändert die Art und Weise, wie Menschen mit Waffensystemen interagieren. Das betrifft bereits die Art und Weise, wie Entscheidungen über die Anwendung von Gewalt getroffen werden.
Zwar wird die Autonomie von Waffen den Menschen nie ganz aus der Entscheidungsfindung ausklammern, doch es besteht die berechtigte Sorge, dass die Distanz zwischen menschlichen Entscheidungen und ihren tatsächlichen Folgen in kriegerischen Auseinandersetzungen vergrößert wird. Herkömmliche international vereinbarte Regeln und Verträge, die ohnehin allzu selten Beachtung finden, benötigen Nacharbeiten.
Gleiches gilt für die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts. Das Ringen darum gestaltet sich zäh, denn die Mehrheit der an solchen Debatten teilnehmenden 125 Staaten teilt zwar die auch von Sipri geäußerte Sorge in Bezug auf autonome Waffen, doch die Regierungsvertreter sind über das Wie einer Begrenzung uneins. Nur knapp 30 Länder sprechen sich klar für ein umfassendes völkerrechtliches Verbot tödlicher autonomer Waffen aus. Darunter ist jedoch keine Nation, die technologisch überhaupt in der Lage ist, bei der Entwicklung intelligenter Systeme mitzuhalten.
Schon jetzt erschwert die Aufrüstung der Streitkräfte für eine sogenannte hybride Kriegsführung die Bewertung diverser Aufrüstungsbestrebungen. Beispiel: Seit nunmehr 68 Jahren sind US-Bomber vom Typ B-52 in der Luft. Russlands Bomber-Methusalem Tu-95 ist ebenso alt. Beide können auch noch in den kommenden Jahren ihren Vernichtungsauftrag erfüllen - dank Nachrüstung und Vernetzung mit anderen, auch kosmischen Systemen. Wie kann man eine solche Art der Rüstung zählen und bewerten?
Gerade die Entwicklungen der letzten Jahre bei Drohnen zeigen, welche Fortschritte die KI-Forschung macht. Forscher arbeiten daran, Drohnen in Schwärmen zum Einsatz zu bringen. Die stimmen ihre Zielwahl untereinander selbstständig ab.
Hinzu kommen immer mehr »asymmetrische« Taktiken, die wegen ihrer Wirkung auf kritische Infrastruktur auch ohne direkte militärische Operationen verheerende Wirkungen zeitigen können. Cybertruppen sind ein entscheidender Faktor, um sich gegenüber möglichen Herausforderern durchzusetzen. Die Nato kritisiert, dass Russland und China Kapazitäten aufbauen, um die westlichen Streitkräfte durch diverse elektronische Störmanöver »blind und taub« zu machen. So sollen im Ernstfall westliche GPS-Navigationssatelliten ausgeschaltet werden. Nato-Truppen müssten auf dann manuelle Mittel zurückgreifen. Welcher Soldat aber kann noch mit Karte und Kompass umgehen? Und wie soll man ohne elektronische Hilfe bei Navigation und Kommunikation vernetzte Operationen rund um den Erdball führen?
Doch der Westen begnügt sich keineswegs - wie nimmermüde behauptet - mit der Abwehr von Cyberattacken, sondern ist bemüht, das globale russische und das chinesische Beidou-Navigationssystem zu stören. Schon jetzt bemühen sich beide Seiten, Schadsoftware in gegnerische elektronische Verteidigungssysteme einschleusen, die durch Tastendruck deren Kommunikation deaktiviert. Und Fake News, also falsche oder verfälschte Informationen, werden zur systematischen Meinungssteuerung eingesetzt. Zwar spielte Propaganda schon eine Rolle. Doch mittlerweile wird sie zunehmend nicht mehr von Parteideologen, sondern von Algorithmen gesteuert.
Der Kampf um die Vorherrschaft bei derartiger Technologie ist in vollem Gange. Forschungsvorsprung ist auch machtpolitisch, also militärisch relevant. »Wer gewinnt denn Wettlauf bei Künstlicher Intelligenz?« lautet eine Studie des Center for Data Innovation. Darin werden unterschiedliche Kategorien von Forschungsanstrengungen der USA, Chinas und der EU hinsichtlich Stärken und Schwächen im Bereich der KI verglichen. Führend sind - wen wundert es? - die USA. Gefolgt von China. Beide verfügen über die besten Experten und schier unbegrenzte Investitionsmöglichkeiten. Geostrategisch gesehen sind sie dank KI die Beherrscher der Welt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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