• Berlin
  • 75 Jahre Befreiung vom Faschismus

Kapitulation in 360-Grad-Ansicht

Sonderausstellung des Museums Berlin-Karlshorst erinnert an Sieg der Anti-Hitler-Koalition

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 3 Min.

»Von Casablanca nach Karlshorst«. So lautet der Titel der Sonderausstellung, mit der das Deutsch-Russische Museum in Berlin an die 1942 von der Sowjetunion, Großbritannien und den USA geschmiedeten Anti-Hitler-Koalition und ihren opferreichen Siegeszug bis zur Befreiung Europas erinnert. Es wird auf absehbare Zeit ausschließlich ein virtueller Gang durch die sehr sehenswerte Ausstellung sein können. Sie wird online an diesem Dienstag auf der Website www.museum-karlshorst.de eröffnet.

Glücklich ist Julia Franke, die Projektleiterin und eine der Kuratorinnen der Sonderausstellung, mit dem alternativen Format nicht. Doch die räumliche Enge in den Ausstellungsräumen lässt die Einhaltung der vorgeschriebenen Abstandsregeln nicht zu. Frankes Stärke ist es, gezeigte Exponate, meist eindrucksvolle historische Fotografien und Grafiken, in ihrem Gesamtzusammenhang zu erläutern und mit Leben zu erfüllen, vor Ort auf Fragen unmittelbar zu reagieren.

Die Stadt, in der der Krieg endete

Das Land Berlin begeht den 8. Mai 2020 anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus diesmal als gesetzlichen Feiertag und unmissverständliches Signal gegen Faschismus und Krieg. Doch die geplante große Open-Air-Ausstellung am Brandenburger Tor und das Fest der Begegnung auf der Straße des 17. Juni mussten Corona-bedingt abgesagt werden.

Stattdessen widmen die Kulturprojekte Berlin dem Jubiläum nun unter dem Motto »Nach Berlin« ab dem 2. Mai eine virtuelle Ausstellung. Vermittelt über einen speziellen Webauftritt und eine App schildert sie, was in der zerstörten Stadt während der letzten Kriegstage bis zum Sieg der Roten Armee geschah, nimmt Orte wie Reichstag und Brandenburger Tor in den Blick.

In einer Themenwoche vom 2. bis zum 9. Mai sollen eine Podcast-Reihe und Social-Media-Aktionen die virtuelle Ausstellung begleiten und inhalt᠆lich den Bogen von der Befreiung, über die Nachkriegszeit bis zur Gegenwart spannen. Unter www.75jahrekriegsende.berlin sind digitale Angebote bis zum Tag des Endes des Zweiten Weltkrieges am 2. September zu erleben.

Kooperationspartner sind die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst - unterstützt von der Senatsverwaltung für Kultur und Europa, aber auch von der Stiftung Topographie des Terrors, dem Alliierten Museum und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. tm

So legt Franke besonderen Wert auf die Bildergalerie am Eingang. »Wir zeigen hier internationale Kriegsplakate, die illustrieren, dass dieser Krieg nicht erst mit dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 begann und sich schrittweise zu einem Weltkrieg ausgeweitet hat«, erläutert sie. Denn Schwerpunkt der Ausstellung sind die letzten Kriegsjahre. Sie spannt einen Bogen von der Konferenz in Casablanca im Januar 1943, auf der die Alliierten die bedingungslose Kapitulation Deutschlands als gemeinsames Kriegsziel festlegten, über die Konferenzen von Teheran im Dezember 1943 und Jalta im Februar 1945 bis zum Sieg der Anti-Hitler-Koalition. Der Besucher erfährt eindrucksvoll, welche unsäglichen Opfer der von Deutschland entfesselte und durch die Nationalsozialisten bis zum Völkermord gesteigerte Vernichtungskrieg gerade in seiner Endphase von den Völkern aller kriegsbeteiligten Staaten forderte. Die Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation durch die Führung der Wehrmacht am 8. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst besiegelte die Einlösung des gemeinsamen Kriegsziels der Alliierten.

Den Online-Besucher erwartet ein 360-Grad-Rundgang durch die Sonderausstellung und auch den historischen Kapitulationssaal. Die Kuratorinnen geben via Video Kurzführungen, präsentieren einzelne Objekte und berichten von der Entstehung der Ausstellung. Komplettiert wird das mit historischen Fotos von der Kapitulation und vom Kriegsende in Berlin.

Ausgerechnet in diesem Frühjahr, da sich ganz Europa des 75. Jahrestages des Sieges über das nationalsozialistische Deutschland, des Kriegsendes auf dem Kontinent und der Befreiung vom Faschismus erinnern sollte, hat die Corona-Pandemie alle großen Feierlichkeiten eingefroren. Dabei hätte das Jubiläum allen Akteuren von einst, Siegern wie Geschlagenen, einen Anlass und viele Gelegenheiten geboten, über die Gräben aktueller politischer Konflikte hinweg miteinander ins Gespräch zu kommen.

In Karlshorst wurde intensiv daran gearbeitet. Das von Direktor Jörg Morré geführte Haus wird vom gemeinnützigen Verein »Museum Berlin-Karlshorst« getragen. Ihm gehören 17 institutionelle Mitglieder an, neben der Bundesrepublik Deutschland die Russische Föderation sowie wissenschaftlich-kulturelle Institutionen in Deutschland, Russland, Weißrussland und der Ukraine. Eine überaus komplizierte Konstellation - besonders, seit die zwischenstaatlichen Beziehungen der Bundesrepublik sowie der Ukraine mit Russland seit der russischen Krim-Annexion 2014 auf dem Tiefpunkt sind. Im Museum kam als letztes Gemeinschaftsprojekt 2013 die Überarbeitung der Dauerausstellung »Deutschland und die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg« zustande. »Es war uns trotz alledem gelungen, für die Teilnahme an der geplanten feierlichen Eröffnung der Sonderausstellung in unserem Museum die Zusage der Botschafter Russlands, der USA, Großbritanniens und Frankreichs - aber eben auch der Ukraine und von Belarus zu bekommen«, sagte Morré dem »nd«. Umso mehr bedauert er die Absage der Veranstaltung.

Die vom Bund finanzierte Ausstellung endet am 8. November - eine Verlängerung und spätere Öffnung ist nicht ausgeschlossen. Ein dreisprachiger Begleitband »Von Casablanca nach Karlshorst« mit Essays internationaler Autor*innen ist über das Museum oder den Wallstein-Verlag für 18 Euro erhältlich.

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