Sonnenflimmern in den Augen
Wie man zu Wasser wird: Das neue Live-Album des österreichischen Musikers Christian Fennesz
Über Körperempfindungen wird in der Popkritik eher selten geschrieben. Musik, die einen von der äußeren Wirklichkeit selbstzweckhaft vollkommen abdichten will, was soll man dazu auch groß sagen? Und vor allem: Wie sollte man das beschreiben? Zu deuten gibt es da nicht viel, zu politisieren dementsprechend auch nichts. Und ein ausdifferenziertes Vokabular, mit dem sich körperliche Empfindungen beim Hören beschreiben ließen, ist eh nicht ohne Weiteres abrufbar. Bleiben also Metaphern, die man schon oft gehört und gelesen - und auch geschrieben - hat.
Der österreichische Künstler Christian Fennesz spielt Musik, bei der sich der schon arg abgegrabbelte Begriff des Ozeanischen sehr aufdrängt. Die physische Erfahrung, die man bei einem Konzert des Gitarristen machen kann, ist, so weit ich das überblicke, einzigartig. Zumindest habe ich dergleichen ansonsten noch nicht erlebt. Die Frequenzen zielen nicht auf den Magen, sondern richten sich an alle Organe, ein einziger Aufwasch sozusagen. Klänge, die außer intensiv gespürter Präsenz gar nichts im Sinn haben, erklären sich von selbst. Man erlebt sich, wenn diese Musik all ihre Möglichkeiten realisieren kann, als ein Körper, der vorübergehend nicht mehr parzelliert ist. Alles an einem selbst wird weit und schwebend. Alles andere wird egal.
Vielleicht so: Der Bezug zum Flüssigen blitzt bei Fennesz immer wieder auf. Seine bisher kommerziell erfolgreichste, 2001 erschienene Platte »Endless Summer«, eines der zehn schönsten Electronica-Alben, war - wie auch Fennesz’ Beach-Boys-Cover »Don’t Talk (put your head on my shoulder)« - Musik für das Sonnenflimmern in den Augen, wenn man entrückt am Strand herumliegt und der Welt komplett entglitten ist. »Music for an Isolation Tank« (1999) gelang es, mit klanglichen Mitteln eine paradoxe Atmosphäre zu entfalten, die sich als wohlige Klaustrophobie beschreiben lässt. »The Black Sea« (2008) trug den Verweis auf das Meer bereits im Titel.
Das jetzt erschienene Live-Album »Live at Empty Bottle / Chicago« schließt an den Sound der letzten drei Alben an - das bereits erwähnte »Black Sea«, »Bécs« (2014) und »Agora« (2019). Zwei Tracks, jeweils eine halbe Stunde, in denen so etwas wie die Quintessenz der Musik von Fennesz der letzten Jahre enthalten ist. Der zweite Track ist überzeugender als der erste und macht noch einmal deutlich, dass Christian Fennesz seine Filter, Gitarren und Laptops wirklich sagenhaft schöne Melodienfetzen produzieren lässt. Hörerin und Hörer werden zu Wasser, würde Klaus Theweleit vielleicht sagen. Doch, das geht.
Fennesz: »Live at Empty Bottle / Chicago« (Not On Label, Self-Released). Zu hören hier: https://fennesz.bandcamp.com/album/live-at-empty-bottle-chicago
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