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Leere im Land

Normalerweise strömen die Touristen an Ostseeküste und Seenplatte – ihr Wegbleiben trifft den Nordosten hart

Der Frühling, das Wetter, Land und Leute: Gäste könnten an Ostseeküste, auf den Inseln oder an den schier unzähligen Seen in Mecklenburg-Vorpommern einen wunderbaren Urlaub verleben. Doch Auswärtige dürfen nicht ins Land, die Schönheiten der Natur sind derzeit den Einheimischen vorbehalten. Besuchermagneten wie die Störtebeker Festspiele auf Rügen, die Musikfestivals Airbeat One in Neustadt-Glewe und Fusion in Lärz, das Filmkunstfest in Schwerin oder die Hansesail in Rostock sind abgesagt, Hotels, Strände, Seen und Wasserstraßen sind leer. Die Rechnung ist einfach und für die Betroffenen niederschmetternd: Keine Gäste, keine Einnahmen. Und womöglich keine Zukunft. Die Tourismusbranche im Nordosten kämpft ums Überleben.

Nun ist das angesichts der Coronakrise, die die Welt in Atem hält, die Wirtschaft global lähmt und die grenzenlose Mobilität noch immer nahezu gen null einschränkt, kein exklusives Schicksal. Tröstlich ist diese Erkenntnis für die existenziell Bedrohten hier wie anderswo wohl kaum. Ein absehbares Ende der Krise und eine baldige Rückkehr der Touristen wären es.

Doch beides ist nicht in Sicht. Zwar gibt es nun die ersten Lockerungen der massiven Einschränkungen und weitere werden schrittweise folgen - bis die Menschen aber wieder reisen und ihren Urlaub anderswo als in den eigenen vier Wänden und dem Umland verbringen können, wird noch einige Zeit vergehen. Wie viel genau? Man weiß es nicht.

Schlüsselbranche im Nordosten

Dass damit die Tourismuswirtschaft wohl voraussichtlich noch besonders lange darniederliegen wird, trifft Mecklenburg-Vorpommern (MV) hart. »Die Abhängigkeit vom und die Wertschöpfung durch den Tourismus ist in MV erheblich größer als in jeder anderen deutschen Region«, heißt es in dem Strategiepapier »Tourismus in und nach der Coronakrise - Lösungsskizze für einen Neustart in MV« des Tourismusverbandes und des Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) des Landes.

Die außerordentliche Bedeutung des Tourismus für den Nordosten fassen die Verbände in folgende Zahlen: »Auf 1000 Einwohner kommen in der touristischen Gesamtrechnung mehr als 33 000 Gästeübernachtungen. Zwölf Prozent der Bruttowertschöpfung werden durch Tourismus erwirtschaftet. Rund 131 000 Menschen sind in der Tourismuswirtschaft beschäftigt.« Dies sei ein Anteil von knapp 18 Prozent an allen Erwerbstätigen im Land, der Jahresumsatz belaufe sich auf etwa acht Milliarden Euro, die Steuereinnahmen auf insgesamt 374 Millionen Euro.

Durch die Verzahnung des Tourismus mit anderen Bereichen, etwa der Bauwirtschaft, dem Einzelhandel oder der Kultur, entstünden »Wechselwirkungen und gegenseitige Abhängigkeiten in Größenordnungen, die weit über die Einzelbedeutung des Tourismus hinausgehen. Insofern ist die Tourismuswirtschaft eine der, wenn nicht sogar die Schlüsselbranche für Mecklenburg-Vorpommern.« Um diese zu retten, fordern Tourismusverband und DEHOGA neben finanziellen Hilfen für Betriebe und Beschäftigte vor allem die volle politische Unterstützung einer »Strategie für das stufenweise Wiedereinsetzen des Tourismus in MV unter Berücksichtigung von Regeln des Gesundheitsschutzes«.

Virtuelle Reise

Wann die Tourismusbranche in Deutschland mit einer Geschäftsbelebung rechnen kann, hat das Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes, das im Auftrag des Wirtschaftsministeriums arbeitet, versucht zu analysieren. Der sogenannte Recovery-Check, der laut Ankündigung in dieser Woche aktualisiert werden soll, kommt zu dem Ergebnis, dass »mit einer vollständigen Belebung des touristischen Geschäfts in allen Sektoren der Tourismuswirtschaft« derzeit »nicht vor Ostern 2021 zu rechnen« sei. Zwischen September 2021 und schlimmstenfalls Herbst 2023 werde sich das touristische Geschäft voraussichtlich normalisieren, heißt es weiter. Wie genau sich die Lage entwickelt, hängt dabei entscheidend von der Länge der drastischen Einschränkungen, der Verfügbarkeit eines Impfstoffes und dem weitgehenden Abbau der Reisebeschränkungen ab.

Bis es soweit ist, dass die Urlauber wieder nach Mecklenburg-Vorpommern kommen können, das im vergangenen Jahr laut der Reiseanalyse 2020 der Forschungsgruppe Urlaub und Reisen zum vierten Mal in Folge das beliebteste Inlandsziel der Deutschen war, bleibt der Tourismusbranche nur zu hoffen: auf weitere staatliche Unterstützung, die ausreicht, so vielen Betrieben wie möglich ein Überleben zu sichern. Und dass, ist die Krise erst einmal überstanden, sich wieder viele Touristen am Nordosten erfreuen wollen. Um sich bei den nun Eingeschlossenen in Erinnerung zu halten und neue Lust auf einen Besuch zu wecken, lädt der Tourismusverband unter dem Stichwort MVorfreude zur virtuellen Stippvisite ein: »Bis wir die traumhafte Natur und die beeindruckenden Kulturschätze Mecklenburg-Vorpommerns wieder gemeinsam genießen können, möchten wir Eure Vorfreude wecken und Euch zu einer digitalen Urlaubsreise einladen. Viel Vergnügen!«

www.auf-nach-mv.de

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