Was geht? Das geht:
Bleib-zuhause-Kultur
Was soll man tun, wenn man jetzt so viel zu Hause bleiben muss?
Einatmen, aus dem Fenster schauen, ausatmen, Musik anmachen. Sind es Corona-Songs, muss man meist noch mal durchatmen. In der versunkenen Epoche der mit großer Geste geschriebenen printmedialen Plattenkritik (ca. 1970 bis 1999), die auch eine Zeit »der Jungs mit der zu großen Plattensammlung« (Wiglaf Droste) war, sagten manche - mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit männliche - Plattenkritiker nicht: »Ich hör mir das Album mal an«, sondern: »Ich arbeite dieses Werk am Wochenende durch.« Die Corona-Songs sind für eine solche Attitüde weniger geeignet. Hier soll vor allem die Geste der Musiker groß sein. Es sind Durchhalte- und Ich-geb-meinen-Senf-zur-Krise-dazu-Songs, die bei Youtube eingestellt werden.
Vorneweg mal wieder Wolfgang Niedecken, der behauptet, er hätte zu seinem 69. Geburtstag am 30. März seinen Fans ein Geschenk gemacht: ein sittsames sozialdemokratisches Anerkennungs- und Solidaritätslied für alle, die in der Corona-Welt härter schuften müssen als er und seine Band BAP. »Huh die Jläser, Huh die Tasse« ist ein Easy-Peasy-Reggae-Schunkel-Stomper. Der kölsche Text ist völlig unverständlich, aber wer will, der findet im Netz eine Übersetzung ins Hochdeutsche: »Wir trinken heut’ mal auf die Guten (…) auf den Notarzt und den Altenpfleger, auf die Schwester und den Krankenwagenfahrer und die stattlichen Kerle von der Feuerwehr«. Prösterchen - und dann bitte wieder durchatmen. Merke: »Haben den Planet nur ausgeliehen, doch manchem fällt es schwer, das einzusehen«, auch einem Wolfgang Niedecken.
Neil Diamond leiht sich keinen Planeten, sondern modelliert einen seiner alten Welthits. In »Sweet Caroline« (1969) baut er eine Textzeile um und macht aus »Hands, touching hands, reaching out, touching me, touching you« das neuerdings alltagskompatible »hands washing hands, reaching out, don’t touch me, I won’t touch you« mit der Homeoffice-Klampfe am lodernden Kamin.
Lustig sind auch Die Ärzte, die ja nichts anderes gelernt haben, als lustig zu sein (mit ziemlich konstantem Okayness-Faktor), wenn sie am dreigeteilten Bildschirm »Ein Lied für jetzt« schmettern. Rod González singt: »Ich zünd mir ne Cohiba an, mit Klopapier statt Geld«, Bela B arbeitet an der Hantel und Farin Urlaub blättert im Kunstband. Dazu eine Arbeitshypothese von Bela B: »Wichsen und Musik sind die beste Medizin.« Und ein Versprechen: »Bald haben wir ein neues Die-Ärzte-Album ausgebrochen.«
Sympathisch ist auch »Scheiß- Corona!« des Berliner A-capella-Chors The Happy Disharmonists, eine Coverversion des unsterblichen Glamrock-Hits »My Sharona« (1979) dieser völlig vergessenen Band aus Los Angeles mit dem merkwürdigen Namen The Knack, dargeboten in reeller, bescheidener Video-Konferenz-Qualität - mit 18-fachem Split-Display. Eine Ansage aus 18 Wohnzimmern: »Du blöde Scheiß-Corona, wir kriegen dich - du Sau!« Christof Meueler
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