Knochenjob Spargelstechen

Das Ausbleiben der Erntehelfer in der Coronakrise sorgt für perfide Debatten darüber, wer für sie einspringen könnte

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Derzeit beginnt die Hochsaison in der Landwirtschaft. Was jetzt nicht gesät oder für die Wachstumsphase vorbereitet wird, kann später auch nicht geerntet werden. Zudem steht der Beginn der Spargelsaison bevor, die für viele Betriebe die wichtigste Einnahmequelle darstellt. Unmittelbar daran schließt sich die Erdbeerernte an. Allerdings fehlen wegen der Coronakrise schon jetzt 30 000 Saisonarbeitskräfte. Bald könnten es aufgrund der Einreisebeschränkungen durch die Bundesregierung 80 000 sein.

Das wirft ein Schlaglicht auf ein Agrarsegment, das in den vergangenen Jahrzehnten rasant wuchs. Von 1998 bis 2018 hat sich die Spargelanbaufläche von 11 000 Hektar auf 23 500 Hektar mehr als verdoppelt. In Brandenburg wurden im Jahr 1991 rund 800 Tonnen Spargel produziert, 2007 waren es bereits 13 270 und 2018 dann 22 000 Tonnen.

Früher galt Spargel eher als exklusiver Genuss. Doch die Ausweitung der Anbaufläche und rationellere Anbaumethoden durch den Einsatz von wärmespeichernden Folientunneln und optimierten, ertragreichen Sorten haben dafür gesorgt, dass der Genuss des Edelgemüses kaum noch am Geldbeutel scheitert. Nach einer kurzen Hochpreisphase am Anfang der Saison pegeln sich die durchschnittlichen Preise für deutschen Spargel seit Jahren bei sechs bis acht Euro pro Kilo ein. Verzehrt werden pro Jahr fast zwei Milliarden Stangen, auch weil Importe vor allem aus Griechenland und Peru dafür sorgen, dass weißer Spargel mittlerweile ganzjährig erhältlich ist. Über 90 Prozent des Konsums entfallen aber weiterhin auf die Zeit von April bis Ende Juni.

Ohne Wanderarbeiter vornehmlich aus Ost- und Südosteuropa kann dieser Massenmarkt aber nicht ausreichend bedient werden. Über Jahrzehnte waren die Saisonkräfte fast schrankenloser Ausbeutung ausgesetzt. Zwar gelten mittlerweile auch für Erntehelfer der gesetzliche Mindestlohn, Arbeitsschutzbestimmungen, Urlaubsanspruch und das Recht auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, doch die entsprechenden Gesetze und vor allem die geringe Kontrolldichte eröffnen Schlupflöcher und Grauzonen. So ist etwa nicht eindeutig geregelt, wie viel der Arbeitgeber vom Lohn für Kost und Logis einbehalten darf.

Dabei handelt es sich um einen Knochenjob, der neben körperlicher Fitness auch manuelles Geschick und eine gewisse Routine erfordert. »Spargel stechen ist wie Marathon laufen, dazu muss man körperlich konditioniert sein«, beschrieb Jürgen Jakobs, der Vorsitzende des Beelitzer Spargelvereins, die Anforderungen im Interview mit dem rbb. Erst nach zwei Jahren Erfahrung »wird man ein guter Spargelstecher«.

Angesichts des akuten Mangels an Erntehelfern überschlagen sich die Politiker mit immer neuen Plänen. Aktiviert werden sollen unter anderem Schüler, Studenten und von Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer etwa aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe, die so ihr Einkommen aufbessern könnten. Für bereits im Land befindliche Saisonkräfte soll die bisher geltende Befristung von 70 auf 115 Tage erweitert werden.

Im Gespräch ist auch eine Gruppe, die ohnehin auf dem deutschen Arbeitsmarkt besonders diskriminiert wird: nicht anerkannte oder bereits abgelehnte Asylbewerber. Am Montag schloss sich auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), der Forderung nach Aufhebung des Arbeitsverbots an, zumal Abschiebungen derzeit nicht durchgeführt werden könnten. Besonders perfide wird der »Rettungsplan«, wenn aus den jetzt diskutierten befristeten Arbeitsgenehmigungen kein Aufenthaltsrecht resultiert. Haben die Asylbewerber ihre Schuldigkeit als Nothelfer für Spargelbauern und -konsumenten getan, könnten sie also wieder abgeschoben werden. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte, von einer solchen Regelung würden beide Seiten profitieren: »Unsere Landwirte bekommen ihre Ernte von den Feldern. Das hilft, die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Und Asylbewerber haben die Chance auf einen Job und ein Stück weit finanzielle Selbstständigkeit.« Eine Sprecherin des Bayrischen Flüchtlingsrates bezeichnete das Vorhaben hingegen als »ungeheuerliche opportunistische Ausbeutung«. Alles andere als eine dauerhafte Arbeitserlaubnis und eine Bleibeperspektive seien nicht akzeptabel.

Dennoch bietet auch die »Spargel-Krise« Chancen für eine neue Orientierung. Geschäftsmodelle, die auf Dumping durch prekäre Arbeit basieren, sind nicht erhaltenswert. Und wenn der Spargel dann wieder seltener wird und 15 bis 20 Euro kostet, wäre dies keine Beeinträchtigung der sozialen Daseinsvorsorge.

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