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Vernissage im Wohnzimmer
Bernd Zeller macht Vorschläge für eine anspruchsvolle Heimkultur in Zeiten der sozialen Isolation
Unser heutiger Bericht befasst sich mit dem Umgang unserer Kulturschaffenden mit der Krise und zuerst mit Popstar Madonna, die sich mit einem Foto aus der Badewanne gemeldet hat mit der Botschaft, Corona mache uns alle gleich. Genau dasselbe tut das Bad und ebenfalls nur, wenn man es hat. Wenn man keins hat - kein Bad -, kann man immerhin zugucken, wie Madonna badet. Sie fühlt sich demnach durch Corona herabgestuft zu Promis, die ein Foto aus der Wanne posten müssen, um noch Publikum zu haben.
Konzerte werden abgesagt, da bleibt auch den Stars nur, in der Badewanne zu singen. Vielleicht wollte sie aber die Schaumbadhersteller dazu anregen, auf die Produktion von Desinfektionsmitteln umzusteigen oder die Produkte umzuetikettieren, wie es die Spirituosenhersteller tun, die ihre Getränke nun zum Einreiben und Putzen empfehlen.
Dem durchschnittlichen Auftrittskünstler wird nachgesagt, sein Lohn sei der Applaus des Publikums. Dann werden sie derzeit hart getroffen, denn es gibt kein Publikum. Man hat aber nicht vernommen, dass unsere Promis Förderapplaus von den staatlichen Stellen beantragen würden, obwohl dieser leicht zu bewilligen wäre. Beklagt werden Verdienstausfälle, was nicht komisch ist, aber der normale Verdiener kann gar nicht nachempfinden, wie es ist, wenn sehr hohe Zahlungen ausfallen. So was lässt sich mit Beifall nicht kompensieren.
Die psychische Seite hoher Gagen kann man sich kaum vorstellen - sie sind das, was aus einem Auftretenden einen anerkannten Künstler macht. Natürlich nicht nur; die Auszeichnungen und die Preise für die meisten Auszeichnungen kommen dazu. Aber die nützen alle nichts, wenn man nun keine Auftritte mehr hat, für die man die Preise in die Höhe treiben kann.
Das liegt an uns; wir gehen zu Darbietungen von Leuten, die wir kennen, damit wir erzählen können, den oder die gesehen zu haben, und zwar live. Eine Übertragung im Internet kann ja nett sein, aber die ist, wie der Name Weltweites Web schon sagt, zu weltweit und nicht exklusiv.
Es ist in Krisenzeiten indes gerade wichtig, dass wir die Illusion von Kultur aufrechterhalten. Wir bleiben drinnen, um die Ansteckungen zu verlangsamen - da muss die Frage erlaubt sein, ob wir dann überhaupt noch berechtigt sind, uns etwas auf unseren Kultursinn einzubilden.
Wir könnten, um diesem Anspruch gerecht zu werden, Veranstaltungen bei uns zu Hause simulieren. Es muss ja nicht das altmodische Musizieren im Wohnzimmer sein, die Praxis könnte den Anspruch zunichtemachen. Auch das Aufführen einer Sitcom sollte nur gewagt werden, wenn man Lacher vom Band einspielen kann. Es besteht indes die Möglichkeit, eine Vernissage anzusetzen; man nimmt sich ein Glas Wein oder Sekt und bespricht die Bilder, die man an der Wand hängen hat, sowie die Objekte, die herumstehen, und redet über die Empfindungen, die diese kühne Bildsprache und die radikalen Objekte auslösen.
Heimkino muss nicht Fernsehen sein. Der Klassiker »Das Fenster zum Hof« kann neu interpretiert werden, indem man zu den Nachbarn guckt und sich die Geschichten dazudenkt, die man ihnen zutraut.
Solche Aktivitäten kann man allein durchführen oder in familiärer Gemeinschaft. Dann ließe sich auch ein neues Gesellschaftsspiel daraus entwickeln: »Wir beantragen Fördermittel für wichtige Projekte.« Es muss kein Spiel bleiben; vielleicht kommt echtes Geld, wenn nach den Hilfszahlungen für Prominente noch Staatsschulden übrig sind.
Soeben wurde die Serie »Lindenstraße« abgesetzt. Der Zeitpunkt liegt nicht so ungünstig, wie es zunächst scheint, denn man kann eine Heim-Talkrunde ansetzen zum Thema »Würden wir nicht gerade jetzt die Lindenstraße brauchen?« Nie wieder wird die Familie so schnell zu einem Konsens finden, wenn nach angeregter Diskussion die einhellige Meinung lautet: Nein. Für die »Lindenstraße« ist es das beste, dass sie nun für die gute alte Zeit steht - die Zeit vor der Viruskrise.
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