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Gewalt gegen linke Jugendliche bleibt ungesühnt
Amtsgericht Cottbus spricht einen Angeklagten mangels Beweisen frei, andere Täter wurden nicht ermittelt
Wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt war Sven S., der seine Unschuld beteuerte. Es ließ sich nicht beweisen, dass er zu denen gehörte, die Himmelfahrt 2016 bei einer rassistischen Attacke am Badesee von Branitz zugeschlagen haben. Am Mittwoch sprach das Amtsgericht Cottbus den 25-Jährigen frei. Sein Verteidiger Guido Schmidt hatte den Freispruch beantragt. Auch dem Staatsanwalt blieb nichts anderes übrig, als es ebenso zu tun.
»Ich glaube Ihnen kein Wort«, sagte Christina Clemm dem Angeklagten ins Gesicht. Sie ist die Rechtsanwältin eines der Opfer, das als Nebenkläger auftrat. Die Mutter des Opfers ging noch im Saal auf den gerade Freigesprochenen zu und sagte ihm: »Ich spreche Sie nicht frei!« Richterin, Staatsanwalt, Nebenklage und Verteidigung attestierten der Polizei eine mangelhafte Aufklärungsarbeit. Elisabeth Strauch vom Verein Opferperspektive bedauerte, dass auch deshalb niemand für die Tat büßen muss, weil es so lange bis zum Prozess gedauert hat.
Der vielleicht wichtigste Zeuge fehlte am Mittwoch zunächst. Der mittlerweile 18-Jährige gehörte zu den Opfern und soll am Morgen Zahnschmerzen gehabt haben - und Angst! Er erschien nicht pünktlich um 9 Uhr zur Verhandlung. »Ohne ihn kommen wir nicht weiter«, bedauerte die Richterin und erwog schon, den Prozess zu vertagen. Sie hatte Verständnis für die Angst der Opfer. Dennoch könnte sie gezwungen sein, dem 18-Jährigen ein Ordnungsgeld aufzubrummen, wenn er sein Fehlen nicht mit einem ärztlichen Attest entschuldigen kann. »Ich mache das nicht gern«, sagte sie. Doch dann kam der Erwartete noch. Er hatte einige Erinnerungslücken. Wegen seiner dunklen Haut erlebte er schon oft rassistische Attacken. Gezählt hat er sie nicht.
Unstrittig ist, dass es am Himmelfahrtsabend 2016 am Badesee von Branitz zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen gekommen ist. Auf der einen Seite standen rund 30 Männer, von denen eine Zeugin von der Gegenseite hinterher der Polizei sagte: »Ich hatte den Eindruck, dass es rechtsgerichtete Fußballfans sind.«
Vor Gericht sagte die Zeugin am Mittwoch: »Dass wir eine andere Meinung haben, das sah man«. Eine Freundin habe ein T-Shirt getragen, auf dem »hate fascism« stand - Hasse den Faschismus. Das Gesicht des Angeklagten kam der Zeugin bekannt vor. Ob er aber unter denen war, die zuschlugen, konnte sie nicht beschwören. Sie hat das »verdrängt«, wie sie sagt, weil es eine schlimme Erfahrung für sie war, auch wenn sie selbst nicht verprügelt wurde. Sie sprach leise und gestand, sie habe auch heute ein wenig Angst.
Wovon sich die Fußballfans konkret angestachelt fühlten, ließ sich nicht genau klären. Ob ihnen der Dunkelhäutige ein Dorn im Auge war, mit dem sich doch einer von ihnen vorher noch freundschaftlich fotografierte, oder ein anderer Junge, der ein Kleid trug und den sie als Schwulen beschimpften? »Scheiß Neger, Scheiß Antifa und lauter so Sachen« hat die Zeugin gehört. Der Dunkelhäutige wurde geschubst und umgestoßen. Ein heute 21-Jähriger stellte sich dazwischen und konnte einem Schlag und einem Fußtritt erst noch ausweichen. Er sah sich aber schnell umringt und boxte einem Mann ins Gesicht, um sich aus der Einkesselung zu befreien. Vergeblich. Mehrere Angreifer prügelten und traten nun auf ihn ein, auch noch, als er bereits am Boden lag. Er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und war zwei Wochen krank. Seine Ausbildung konnte er deswegen nicht wie geplant abschließen, musste noch ein Jahr dranhängen, weil er ein wichtiges Praktikum versäumte.
Erst als jemand die Polizei alarmierte und die Täter das mitbekamen, ergriffen sie die Flucht. Den angetrunkenen Sven S. konnte die Polizei abfangen. Er beteuerte, er habe bei der Schlägerei abseits gestanden und nichts verbrochen. Er kenne nur drei Kumpel vom Fußball, die anderen lediglich flüchtig mit ihren Spitznamen, könne also keine Hinweise zu den Tätern geben. Sven S. trug einen Anglerhut, seine Brille und hatte einen Schlauchschal dabei. Das ist von Belang, weil die Polizei notierte, einer der Schläger habe einen auffälligen Hut und einen Schlauchschal getragen, wohl derjenige, der zuerst nach dem Nebenkläger trat. Doch das Opfer erinnerte sich nur schemenhaft an einen mit einer Skimaske vermummten Täter, der allerdings keine Brille trug, schemenhaft. Schließlich wurde er an den Kopf getreten. »Ich habe mehr Schuhe gesehen als Gesichter.«
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