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Kein Theater bis nach Ostern
Bis 19. April werden alle Veranstaltungen mit über 1000 Teilnehmern abgesagt
Das Bundesland Berlin will das öffentliche Leben in der Millionenmetropole jetzt doch deutlich einschränken. Der rot-rot-grüne Senat ordnete am Mittwoch an, alle Veranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmen in Berlin zu untersagen - zumindest bis zum Ende der Osterferien am 19. April. Man handele »sinnvoll, sachgerecht und besonnen«, betonte der Regierende Bürgermeister. Kritik, dass er diese Maßnahmen bereits am Dienstag hätte anweisen können, wies Müller zurück. Mit Blick auf die anderen Bundesländer sagte der Senatschef: »Ich bedauere sehr, dass wir diesen Flickenteppich haben.« An diesem Donnerstag wollen sich die Länderministerpräsidenten und die Bundesregierung zum Umgang mit der Verbreitung des Coronavirus abstimmen.
Verantwortlich für die Umsetzung der Berliner Auflagen ist Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD). »In so einer Phase muss das öffentliche Leben Einschränkungen erfahren«, teilte Kalayci mit. Gerade am Anfang einer Epidemie sei so eine Einschränkung von Bedeutung: »Der Schutz der Berlinerinnen und Berliner hat höchste Priorität.« Einigen Berliner Amtsärzt*innen geht die Entscheidung der Gesundheitssenatorin unterdessen nicht weit genug. Sie fordern von Kalayci, sämtliche Sport- und Kulturveranstaltungen ab sofort nicht mehr stattfinden zu lassen. Das gelte auch für Veranstaltungen in Clubs. Dies sei »aus infektionsepidemiologischer Sicht unerlässlich«. Von den Veranstaltungen gehe ein »höheres Risiko für Infektionsübertragungen« aus, erklärten die Ärzte laut rbb am Mittwoch in einem Schreiben an die Gesundheitssenatorin. Sie betonen darin die »Notwendigkeit einer gesamtstädtischen Regelung«. Eine »berlineinheitliche Lösung« sei »unverzüglich erforderlich«.
Beim Thema Gesundheitsschutz vorangegangen war am Dienstagabend bereits Kultursenator Klaus Lederer. Der Linken-Politiker ordnete an, dass die großen Säle der landeseigenen und auch private Bühnen ab Mittwoch zunächst für die kommenden fünfeinhalb Wochen geschlossen bleiben. Dazu gehören der Friedrichstadtpalast, die Deutsche Oper Berlin, das Deutsche Theater, die Komische Oper, das Konzerthaus am Gendarmenmarkt, das Maxim-Gorki-Theater, das Staatsballett Berlin, die Staatsoper Unter den Linden, das Theater an der Parkaue und die Volksbühne. Die wirtschaftlichen Konsequenzen für Kulturinstitutionen durch Ausfälle will Lederer mit einem Notfallfonds auffangen. Auf nd-Nachfrage gab es am Mittwoch aber noch keine konkreten Planungen dafür. Im Vordergrund steht derzeit die Reduzierung der gesundheitlichen Risiken. »Die Eindämmung steht an erster Stelle«, sagte ein Sprecher Lederers zu »nd«.
Für Veranstaltungen in kleineren Häusern und Sälen mit bis zu 500 Teilnehmenden gilt zunächst weiterhin, dass die Risikobewertung durch die Einrichtungen gemäß den Vorgaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) vorgenommen werde. Auf dieser Basis müsse eigenverantwortlich entschieden werden, ob Veranstaltungen durchgeführt werden können.
Kalayci hatte ebenfalls am Mittwoch die Absage vom Fußball-Bundesligaspiel des 1. FC Union Berlin gegen Bayern München begrüßt: »Meiner Meinung nach kann man auf Fußball-Bundesligaspiele mit Publikum derzeit verzichten.« Auch das am 21. März geplante Fußballderby zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin dürfte auf jeden Fall wohl ohne Zuschauer stattfinden. Wie mit Entschädigungsansprüchen von Zuschauer*innen, Vereinen, aber auch den Kultureinrichtungen umgegangen wird, war am Mittwoch zunächst unklar.
Bei der Eröffnung des neuen ambulanten Diagnostikzentrums an den DRK Kliniken Westend appellierte Gesundheitssenatorin Kalayci gleichwohl an die Bevölkerung, nur in begründeten Verdachtsfällen einen Test auf das Coronavirus zu verlangen. Als begründet gilt ein Verdachtsfall, wenn Patienten in einem Risikogebiet waren oder Kontakt zu Infizierten hatten und Symptome aufweisen.
Nach den bisherigen Erfahrungen seien im Schnitt fünf Prozent der Tests in den Diagnostikzentren positiv, sagte Chefarzt Robin Köck vom Institut für Hygiene. Das sei ein geringer Anteil. Solange man keine Symptome habe, sei der Test nicht aussagekräftig, weil bis zum Ausbruch der Krankheit mehrere Tage vergehen können. 50 Tests pro Tag sind in der neuen DRK-Einrichtung möglich. Am Dienstag hätten 50 bis 60 Patienten die Ambulanz aufgesucht, hieß es. Nur fünf bis zehn Menschen dürfen auf einmal ins Wartezimmer im Gebäude, um die Ansteckungsgefahr zu mindern. Bis zum Redaktionsschluss waren 81 bestätigte Fälle und 1600 Kontaktpersonen gemeldet.
Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Tim-Christopher Zeelen, kritisierte das bisherige Krisenmanagement des Senats. Er bezweifele die Aussage Kalaycis, das Berliner Gesundheitssystem sei gut gerüstet: »Ich habe großes Vertrauen in unsere Krankenhäuser, in unsere niedergelassenen Ärzte, in unser Pflegepersonal, aber da, wo eine klare Richtung und Steuerung von politischer Seite gefordert sind, mache ich mir zunehmend Sorgen«, teilte Zeelen am Mittwoch mit.
Auch die Grünen plädieren - was durchaus als Kritik an der eigenen Performance verstanden werden kann - für eine breitangelegte Anzeigenkampagne, in denen auf wesentliche Verhaltenstipps sowie nähere Informationsangebote hingewiesen wird. Unterdessen schicken immer mehr Unternehmen Teile ihre Beschäftigten zum Arbeiten nach Hause. So auch bei der »Tagesspiegel«-Redaktion: ein Mitarbeiter hatte sich infiziert. Kommentar S.10
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