Das Ringen mit der Pflege

Lohnbedingungen bei ambulanter Pflege verbessern sich, Vivantes steht weiter in der Kritik

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

»Voraussichtlich können wir Ende März endgültig den Tarifvertrag unterzeichnen«, erklärt Ericka Reikowski, Tarifkommissionsmitglied des Assistenzbetriebs Neue Lebenswege gegenüber »nd« am Donnerstag. Auf diesen Schritt warten die mehr als 1000 Beschäftigten von Ambulante Dienste e. V. und Neue Lebenswege GmbH, die als persönliche Assistent*innen für Menschen mit Behinderungen arbeiten, allerdings seit Mai 2019. Bereits da war der Tarifvertrag unterzeichnet worden, er wurde jedoch zunächst unter Refinanzierungsvorbehalt gestellt.

»Die Pflegekassen wollten ein Gutachten zur Eingruppierung, denn tatsächlich besteht unsere Arbeit ja nur zu etwa 40 Prozent aus Pflegetätigkeiten«, beschreibt Ericka Reikowski einen Grund der neunmonatigen Verzögerung. Das Gutachten habe man natürlich geliefert. Rückwirkend zum 1. Juli 2019 tritt der Vertrag dann bald in Kraft - nicht zum 1. Januar 2019, wie Betriebe und Gewerkschaften es gefordert hatten.

Im Zuge dessen erhalten die Pflegekräfte der ambulanten Dienste der Hauptstadt in diesem Jahr im Durchschnitt weitere 5,26 Prozent mehr Lohn. Darauf haben sich die Landesverbände der Kassen, die Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung und die Arbeitsgemeinschaft Ambulante Pflege in ihren Verhandlungen am Dienstag geeinigt. Martina May von der Arbeitsgemeinschaft Ambulante Pflege begrüßte das Ergebnis als dringend notwendigen Schritt: »Durch die Einhaltung der Lohnuntergrenze stellen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber eine Bezahlung oberhalb des gesetzlichen Pflegemindestlohnes sicher.«

Pflegesenatorin Dilek Kalayci (SPD) erklärte, die bessere Vergütung erhöhe die Attraktivität in der ambulanten Pflege. Seit 2018 sei die Entlohnung der Beschäftigten der ambulanten Pflegedienste um über 15 Prozent gestiegen, so die Senatorin. Kalayci sieht dies auch als Ergebnis des Anfang 2019 initiierten »Berliner Pakts für die Pflege«. Dieser soll Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in den Pflegeberufen nachhaltig verbessern.

Unterzeichnet hatten diesen Vertrag unter anderem Pflegekassen wie die AOK Nordost, die als Tarifpartnerin nun auch dem Lohnabschluss für die ambulant Beschäftigten zustimmte. Hans-Joachim Fritzen, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Nordost, bezeichnete die Lohnerhöhung als »Wertschätzung« der Beschäftigten und ihrer »oft aufopferungsvollen Tätigkeit für pflegebedürftige Menschen«.

Ungeachtet der Verbesserung in diesem Bereich der Pflege hatten sich Anfang der Woche insgesamt 38 Ärzte und Pflegekräfte aus der Infektiologie-Station im Tempelhofer Auguste-Viktoria-Klinikum verabschiedet - aus Protest gegen schlechte Arbeitsbedingungen. Die elf Ärzte und 27 Pflegekräfte wechselten ins nah gelegene St.-Joseph-Krankenhaus.

Fachkräftemangel und Pflegenotstand und damit enorme Arbeitsbelastung für unterbesetzte Stationen treffen die Landeseigenen vor allem auch wegen jahrelang vernachlässigter Investitionen. Sie stehen länger in der Kritik. Der Druck feuert zugleich die Konkurrenz zwischen einzelnen Kliniken an.

Die Infektiologie am Auguste-Viktoria-Klinikum werde sich nun neu aufstellen, erklärte Sprecherin Mischa Moriceau. Zu Personalfragen könne man sich im Detail aber nicht öffentlich äußern. Die offenen Stellen werden nachbesetzt, so die Vivantes-Vertreterin. Die interdisziplinäre Versorgung von Menschen mit HIV bilde auch weiterhin einen Schwerpunkt der Klinik.

Senatorin Kalayci hofft, dass das Vorgehen des St.-Joseph-Krankenhauses eine Ausnahme bleibe. Sie erwarte von allen Kliniken eine Verbesserung der Situation: »Wir brauchen eine bessere Bezahlung und mehr Pflegekräfte im System, um die Arbeitsbelastung für einzelne zu reduzieren.« Dafür müssten die Anstrengungen, in guter Qualität auszubilden, drastisch erhöht werden. Viele Krankenhäuser zögen schon mit: »Auch Vivantes bildet mehr aus und wird mit dem Berliner Ausbildungscampus einen wichtigen Beitrag leisten, um die Pflege in Berlin zu verbessern. Im Übrigen bezahlt Vivantes nach Tarifvertrag«, so Kalayci

Der Senat will dieses Jahr 180 Millionen Euro für 50 Kliniken des Berliner Krankenhausplans ausgeben. 2021 sollen es 235 Millionen Euro sein. Die Berliner Krankenhausgesellschaft sieht demgegenüber aber einen Gesamtinvestitionsbedarf von rund dreieinhalb Milliarden Euro.

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