Heiter bis schläfrig
»A Midsummer Night’s Dream« von Benjamin Britten an der Deutschen Oper Berlin
Wattierte Fantasterei ist nicht die einzige Essenz von Shakespears Vorlage »Sommernachtstraum«. Zwar tanzen Feen und Handwerker mit Elfenköniginnen in allumfassender Schlaftrunkenheit, doch Derbheit, Anzüglichkeiten und Ironie machen diesen Traum gleichermaßen zum Gesellschaftsstück. Das lernt man bestenfalls schon in der Schule: Vor allem im englischen Sprachraum gilt »A Midsummer Night’s Dream« als Kür eines jeden Highschool-Theaters.
Klassiker zu inszenieren stellte Theatermacher bereits im 16. Jahrhundert vor Herausforderungen. Je kanonischer der Stoff, desto schwieriger wird es, die ewigen Konventionen der naheliegendsten Interpretationsansätze zu durchbrechen. Wer nichts hinzuzufügen hat, könnte schließlich auch eine bestehende Inszenierung einkaufen. Neue Produktionen kosteten schon immer - in der griechischen Antike ebenso wie im Elisabethanischen Zeitalter Geld. Mit jener herausfordernden Fragestellung im Angesicht von Steuergeldern, mühte man sich zur Premiere in der Deutschen Oper zu Berlin wenig ab, als man den New Yorker Regisseur Ted Huffman die »Sommernachtstraum«-Oper von Benjamin Britten inszenieren ließ.
Es ist Huffmans Debüt in Berlin - mit einer schläfrig machenden Inszenierung, die zwar hübsch anzuschauen ist, die aber über die Laxheit von Brittens Komposition nicht hinweg kommt, am wenigsten in den ersten beiden Aufzügen.
Britten nämlich fertigte 1959 die Oper in nur neun Monaten für sein Aldeburgh-Festival an der englischen Nordseeküste an - pflichtbewusst, aber weitestgehend ideenlos und protestantisch. Was in Akt eins und zwei stattfindet, besteht im Wesentlichen aus manierlichen Einfällen der chromatischen Art auf dem Niveau höherer Mathematik. Höchst fragwürdig sexualisiert parodieren Kinderchöre, Countertenöre und Tenöre in einem rechtfertigungsfreien Raum namens »Theater auf dem Theater« Sopranistinnen. Spätestens in den 1960er-Jahren mutierte Britten endgültig zum Abbild Thomas Manns: Ebenbürtig in Sachen Statusbewusstsein und geschlechtlichem Pensionistendelirium.
Optisch und akustisch geht es in diesem »Sommernachtstraum« eher mollig grau und mittelmäßig düster zu, in Suffolk wie in Preußen. Deswegen will man sich bei dieser Ausschmückung des Dramenstoffes eigentlich lieber ins spätwinterliche Hauptstadtbett verziehen als dabei zu sein, wenn an lauen Abenden über quirlige Fabelwesen fabuliert wird. An sich ist die kalte Jahreszeit gut für die Opernhäuser, die sich bei steigender Außentemperatur zu leeren beginnen. Open-Air-Opern sind ein Unding für Kleinstadthäfen und Waldbühnen. Für den eher unbequemen Elitärbetrieb der Opernhäuser scheinen Wolldecken und Liegelogen eine sinnvolle Ergänzung zu sein.
An den zweiten Akt an der Deutschen Oper kann sich bestimmt niemand mehr erinnern, bei der Premiere war zu beobachten, wie sich in den Reihen zunehmend die Köpfe neigten.
Der dritte Akt weckte das Berliner Publikum dann wieder auf, veranlasste es im Anschluss sogar zu vereinzelten stehenden Ovationen - Begeisterung bedarf Kontrast. Britten wird an dieser Stelle folkloristisch, eklektizistisch, wirkt zumindest für kurze Momente nicht so, als säße ihm bereits der »Tod in Venedig« im Nacken. Marsha Ginsbergs Bühnenbild verändert sich endlich vom auf- und absteigenden Sichelmond mit Wolke und ein bisschen Nebel, hin zum illustren Theaterschauplatz der treudoofen Arbeitertheaterkompanie. Die Stipendiaten Timothy Newton, Michael Kim, Matthew Cossack sowie Patrick Guetti, gaben sich nebst Matthew Peña und dem hervorragenden James Platt als Bottom alle Mühe mit dem Mimen von tollpatschigen Laien, was phasenweise deutliche Lacher vernehmen ließ.
Donald Runnicles dirigierte solide, ohne Aus- und Zwischenfälle. Jami Reid-Quarrel als ewiger Publikumsliebling »Puck« wurde neben den Kindern besonders frenetisch beklatscht. Zirkuseinlagen und Heiterkeit erfreuten die einfachsten Gemüter wenigstens sporadisch mit einem Kleinkunstfestival der guten Laune. »Wollt ihr diesen Kindertand, der wie leere Träume schwand, liebe Herrn, nicht gar verschmähn, sollt ihr bald was Beßres sehn« (William Shakespeare).
Nächste Vorstellungen: 6.2., 22.2.
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