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Widerstand ist die halbe Miete
Zehntausende engagierten sich 2019 bundesweit gegen Verdrängung und hohe Mietpreise in Großstädten
Mietsteigerungen, Wohnungsmangel und Verdrängung durch Gentrifizierung sind 2019 bundesweit zu einem drängenden Thema geworden. Höhepunkt der zahlreichen Proteste waren europaweite Aktionstage Anfang April. Zu den Demos in Deutschland hatten unter dem Motto »Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn« fast 300 Initiativen und Gruppen aufgerufen. Das Aktionsbündnis zählte über 50 000 Teilnehmer*innen in fast 50 Städten.
Verbessert hatte sich bis zum Jahresende jedoch nicht viel. »Die Wohnungskrise in den deutschen Städten spitzt sich aufgrund stetig wachsender Einwohnerzahlen und einem unzureichenden Wohnungsneubau immer weiter zu«, kommentierte im Dezember Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes (DMB), die vom Statistischen Bundesamt vorgestellten Zahlen zur Entwicklung des deutschen Wohnungsmarktes.
Der DMB ist Teil des Bündnisses »Wohnen ist Menschenrecht«, das sich im September gegründet hatte und zu dessen Trägern auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Berliner Mieterverein und die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe gehören. Das Bündnis kritisierte jüngst ebenso, dass ein Jahr nach dem »Wohngipfel« im Kanzleramt und den laut Bau- und Innenminister Horst Seehofer (CSU) unternommenen »größten Kraftanstrengungen« auf dem Wohnungsmarkt bisher wenig Verbesserung eingetreten sei.
Mieter*innen in zahlreichen Städten sind von den Problemen betroffen. Zum Bündnis »Wohnen ist Menschenrecht« gehören beispielsweise als Träger auch das Mietrechtsbündnis aus Frankfurt und die Initiative »ausspekuliert« aus München, laut dem Forschungsinstitut »empirica« die zwei deutschen Städte mit den höchsten Durchschnittsmieten pro Quadratmeter. In Frankfurt sei das zurückliegende Jahr vor allem durch »Abwarten« bestimmt gewesen, erklärte Lisa Hahn vom Bündnis »Mietentscheid Frankfurt« gegenüber »nd«. Anfang des Jahres hatte die Initiative rund 25 000 Unterschriften für einen Mietentscheid eingereicht. Das war mehr als genug, um eine Bürgerabstimmung über die Geschäftspolitik der städtischen Wohnungsgesellschaft ABG anzuregen. Damit soll ein sozialerer und günstigerer Wohnungsbau sowie eine größere Förderung von Sozialwohnungen erreicht werden.
Jedoch habe der zuständige Magistrat seit der Einreichung der Unterschriften das »notwendige und inzwischen intern vorliegende Rechtsgutachten« immer noch nicht veröffentlicht, kritisierte das Frankfurter Bündnis. Momentan erwäge man eine Untätigkeitsklage gegen die Stadtregierung, sagte Hahn. Um auf die Verzögerung des Bürgerentscheids aufmerksam zu machen, griff das Bündnis auch zu künstlerischen Mitteln: Im September wurde die Statue der Justitia am Frankfurter Römer mit einem roten Tuch verhüllt, berichtet Hahn. »Justitia sieht rot«, so der Slogan.
Auch in Bayern wurden in diesem Jahr Unterschriften gesammelt. Gefordert wurde, Mieterhöhungen in angespannten Wohnungsmärkten bei laufenden Mietverhältnissen sechs Jahre lang zu unterbinden. Die Unterschriftensammlung zur Zulassung des Volksbegehrens sollte bis Ende Dezember laufen, erklärte das Bündnis »Volkbegehren6JahreMietenstopp«. Von der Berliner Lösung des Mietendeckels grenzt man sich auf der Webseite allerdings ab: »Es findet keine Mietpreissenkung (Berliner Mietendeckel) und keine Enteignung (Berliner Volksbegehren) statt. Faire Vermieter*innen und Genossenschaften müssen sich keine Sorge machen, für sie gibt es genügend Spielraum (Ausnahmeregelung)«, heißt es dort.
Die Münchener Initiative »ausspekuliert« setzt sich neben progressiven Parteien und Gewerkschaften ebenfalls für das bayerische Volksbegehren ein, fordert aber noch mehr. Ihr erklärtes Ziel sei es, »den turbokapitalistischen Machenschaften von Spekulanten, Miethaien und Lobbyverbänden einen Knüppel in die Beine zu werfen«, heißt es in dem Internetaufruf der Initiative. »Ausspekuliert« rief für den Aktionstag im April in München zu kreativem Protest auf, Aktivisten erschienen als »Miethaijäger« oder »Heilsbringer«, sowie zu einer Demonstration Mitte September, an der laut Bündnis rund 11 000 Menschen teilnahmen.
In Leipzig wiederum arbeiten schon seit 2012 mehrere Gruppen im Netzwerk »Leipzig - Stadt für alle« zusammen. Ziel sei es, »Verdrängung und Segregation zu verhindern, das Wohnen für alle langfristig bezahlbar zu halten und notwendige Freiräume zu erhalten und zu schaffen«. Beim Aktionstag im April waren laut Bündnis 3000 bis 5000 Menschen auf der Straße. »Bei unserer Initiative geht es nicht um Mitsprache bei vorgestanzten Beteiligungsverfahren, sondern um eine selbstbestimmte, gesellschaftliche Bewegung für eine Stadt für alle«, führte ein Sprecher des Netzwerks in einer Rede auf der Demonstration am 6. April aus.
Kontrovers diskutiert wurden derweil im November über die Stadtgrenzen Leipzig hinaus militante Aktionen gegen die Errichtung von teuren Neubauten im linksalternativen Stadtteil Connewitz. Mehrfach zündeten Unbekannte Baukräne an. Eine Mitarbeiterin einer an den Bauprojekten beteiligten Leipziger Immobilienfirma wurde in ihrer Privatwohnung angegriffen. Auch aus progressiven Kreisen gab es an diesen Aktionen Kritik, etwa von der Ortsgruppe »Prisma« der bundesweiten linksradikalen Organisation »Interventionistische Linke«, von der Initiative »Rassismus tötet« oder von dem Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek (»nd« berichtete).
Neben der Arbeit in den jeweiligen Städten vernetzten sich die mietpolitischen Gruppen bundesweit weiter in dem »Recht auf Stadt Forum«, das es bereits seit einigen Jahren gibt. Das diesjährige Treffen fand im Mai in Hamburg statt.
Auch die Frankfurter Aktivistin Lisa Hahn vom »Mietentscheid Frankfurt« nahm daran teil. Thema sei neben der Mietenpolitik das Thema »Bürger*innen-Asyl« gewesen, sagte sie. Das Netzwerk bündelt Initiativen aus mehreren Städten, die geflüchteten Menschen Schutz bieten und so das Kirchenasyl um eine zivilgesellschaftliche Komponente ergänzen wollen. Die Aktivistin erklärte, dass sich in diesem Jahr auch Initiativen aus kleineren Orten stärker beteiligten.
Für das Jahr 2020 werden die Mobilisierungen rund um das Thema Wohnen und Verdrängung weitergehen. In mehreren deutschen Städten laufen schon die Vorbereitungen für den nächsten internationalen Aktionstag am 28. März, den »Housing Action Day«. Aufgerufen wird zu Protesten vom »Aktionsbündnis gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung«. Gastgeberin des »Recht auf Stadt Forums« wird vom 15. bis 17. Mai die Stadt Weimar sein.
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