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Keine Stunde der Patrioten
Trump schützt Kriegsverbrecher und schickt US-Marinestaatssekretär in die Wüste
»Semper fortis!« (Immer stark!) lautet das Motto der United States Navy Seals. Sie sind die Härtesten der Harten, sie werden in die gefährlichsten Einsätze geschickt, sie sind die erste Wahl, wenn US-Geheimdienste mal wieder einen Terrorchef à la Osama bin Laden beseitigen wollen. Dass die Seals es bei ihren Einsätzen mit eigenen oder den Gesetzen anderer Staaten nicht so genau nehmen, wird erwartet und in der Regel auch »von ganz oben« toleriert.
Doch genau das ging bei Petty Officer First Class Eddie Gallagher nicht. Denn Soldaten seines eigenen Zuges hatten den hochdekorierten Anführer angezeigt. Er soll willkürlich auf einen unbewaffneten Zivilisten und ein Mädchen geschossen und einen in Gefangenschaft geratenen IS-Kämpfer mit seinem Kampfmesser umgebracht haben. Bevor er sich mit seinem Opfer fotografieren ließ.
Das war 2017 in Irak. Von den Vorwürfen tauchte im Urteil, das im Juli 2019 erging, nur das »Fotoshooting« auf. Weil es unangemessen war, degradierte das Militärgericht den Killer und beauftragte die Navy, einen Ausschluss aus den Seal-Verbänden zu prüfen.
Genau das werde nicht erfolgen, twitterte der US-Präsident, der Kraft seines Amtes auch Oberkommandierender der Streitkräfte ist, am vergangenen Donnerstag. Bereits Mitte November hatte Donald Trump nicht nur Gallaghers Degradierung kassiert, sondern auch zwei andere wegen Kriegsverbrechen beschuldigte Soldaten begnadigt.
Chief Gallagher sei »sehr schlecht behandelt« worden, schrieb Trump, und der getreue Soldat war »überglücklich«, dass sein Präsident sich so für ihn einsetzt. Warnungen von hochrangigen Militärs, dass der Oberbefehlshaber mit seiner Entscheidung das Ansehen und die Disziplin der Truppe beschädige, ließ Trump nicht gelten.
Richard Spencer, der für Marineangelegenheiten zuständige Staatssekretär, ignorierte den Präsidenten-Wunsch zunächst mit dem Hinweis, dass er eine Twitter-Nachricht unmöglich als Anweisung verstehen könne. Doch mit diesem Angriff auf den gängigen Regierungsstil Trumps machte er sich seinen unmittelbaren Chef zum Feind. Am Sonntagabend hieß es in Washington, Verteidigungsminister Mark Esper habe angeordnet, dass Gallagher Navy Seal bleibe, Spencer jedoch das Vertrauen des Pentagonchefs verloren habe. Warum? Weil er an ihm vorbei mit dem Weißen Haus über den Fall Gallaghers gesprochen hat.
Pflichtgemäß kam der zivile Chef der US-Marine der Rücktrittsaufforderung nach. Doch nicht ohne in dem entsprechenden Gesuch geharnischte Kritik an Donald Trump zu üben. Man sei angewiesen auf die Unterstützung der Menschen, denen man diene. Auch ein Hinweis auf das Vertrauen der Verbündeten fehlt nicht in dem einseitigen Schreiben. Doch, so Spencer weiter, es habe sich gezeigt, dass er leider nicht mehr das gleiche Verständnis wie der Oberbefehlshaber habe, was »das Grundprinzip der guten Ordnung und Disziplin« betrifft. Folge: »Ich kann einem Befehl nicht mit gutem Gewissen gehorchen, von dem ich glaube, dass er gegen den heiligen Eid verstößt, den ich geleistet habe.«
Natürlich schlachten die oppositionellen Demokraten den Rausschmiss des Staatssekretärs nach Kräften aus. Senator Chuck Schumer aus New York beispielsweise nannte Spencer »einen Patrioten«. Der könne stolz sein, sich nicht der Präsidentenwillkür gebeugt zu haben. Ob Trumps Machtdemonstration den Demokraten, die bekanntlich ein Impeachment-Verfahren zur Abwahl des Präsidenten in Gang gesetzt haben und derzeit die ersten Spitzenleute für den beginnenden Wahlkampf nominieren, hilft? Das ist zweifelhaft.
Immer wieder werden US-Soldaten, die Kriegsverbrechen begangenen habe, nicht angeklagt, freigesprochen oder begnadigt. Einer der grausamsten Fälle ist die Ermordung von über 500 vietnamesischen Zivilisten 1968 im Dorf My Lai. Nur vier Soldaten hat man angeklagt. Lediglich Leutnant William Calley wurde 1971 zu lebenslanger Haft verurteilt. US-Präsidenten Richard Nixon wandelte das Urteil am darauffolgenden Tag in Hausarrest um und sprach 1974 eine Begnadigung aus.
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat US-Soldaten mehrfach vorgeworfen, unter anderem in Afghanistan sowie in Geheimgefängnissen in Polen, Rumänien und Litauen Kriegsverbrechen begangen zu haben. Die US-Regierung bezeichnete die Beschuldigungen zumeist als »nicht gerechtfertigt« und hält den Gerichtshof für »nicht zuständig«.
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