Säulenpracht und Marmorglanz
Viel Lob im neuen Hamburger Architektur-Jahrbuch
»Klimawandel, Verkehrskonzepte, neue Mobilitätskonzepte - man denkt, dass die Neuprogrammierung der Stadt auf Knopfdruck funktioniert«, sagte Karin Loosen, Präsidentin der Hamburgischen Architektenkammer, bei der Vorstellung des Architektur-Jahrbuchs 2019/20 im Fünf-Sterne Hotel Fraser Suites am Rödingsmarkt. In Anbetracht der rasanten Veränderungsprozesse in der Stadt, betonte Loosen, »dass alle Herausforderungen mit unserem Berufsstand, der eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe erfüllt, verbunden sind«. Sie mahnte deshalb die Erhaltung der hohen Qualität der Architektenausbildung an. Gleichzeitig kritisierte sie, dass laut EU-Rechtsprechung »Planungen heute auch von Personen durchgeführt werden dürfen, die nicht über diese Qualifikation verfügen«.
Doch für Pfuschereien ist im aktuellen Jahrbuch kein Platz - wer es mit seinem Bau- oder Umbauvorhaben in die Publikation geschafft hat, darf sich getrost zur Architekten-Elite in der Hansestadt zählen. So lobte Loosen ausdrücklich das »sehr schöne Projekt« Osterstraße. Architekturkritiker Jürgen Tietz empfiehlt die Umgestaltung der Eimsbütteler Einkaufsmeile in seinem Beitrag sogar als »Blaupause für Straßenplanung«. Und die macht in dem beliebten Stadtteil dem Autoverkehr auf charmante Wiese den Garaus: Die Straße wurde zugunsten von Radwegen verengt, die Gehwege verbreitert, viele Parkplätze verschwanden - das aber zum Ärger mancher Geschäftsinhaber. »Als Privatperson finde ich den breiten Boulevard allerdings charmant, nur die Radbahnen könnten noch breiter sein, jetzt ist es dort gefährlich«, sagt Doris Claus vom Buchladen Osterstraße. Zwar konstatiert Tietz, dass sich lokale Einkaufsstraßen nur »begrenzt als doktrinär aufgeladene Kampfzonen der Stadtplanung eignen«, doch die für 5,5 Millionen neu gestaltete Osterstraße sei ein gelungener Kompromiss der Interessen von Fußgängern, Rad- und Autofahrern. Sie besteche jetzt durch ihr »Straßenflair« und ihre »Aufenthaltsqualität«.
Ein noch größeres Lob spricht Fachautor Sven Bardua der von den »gmp Architekten von Gerkan, Marg und Partner« gestalteten neuen U-Bahn-Station Elbbrücken aus: »Ein großer Wurf ohne Schnickschnack.« Zentrales Element der neuen Haltestelle ist die großzügige Bahnsteighalle aus Stahl und Glas, die das Bauwerk futuristisch erscheinen lässt, obwohl die Form sich an klassischen Stadtbahnhallen orientiert. Fantasiebegabte, die den transparenten Glaspalast beleuchtet in der Abenddämmerung erspähen, mögen denken: Ein Ufo ist gelandet!
Außerirdisch schön ist auch das sechsgeschossige Bürohaus an der Görttwiete, das auf einem engen Areal neben der Willy-Brandt-Straße mit einer Grundfläche von nur 129 Quadratmetern »Mut zur Lücke« beweist, wie der Kunsthistoriker Ralf Lange es ausdrückt. Das Gebäude, das sich an ein denkmalgeschütztes Kontorhaus von 1904 schmiegt, wirkt wegen seiner Spitzwinkeligkeit wie eine hypermoderne Version des Chilehauses, das ebenfalls Geschäftszwecken dient. Hinter der tollen Inszenierung stecke aber knallhartes Kalkül, gibt sich Lange keinen antikapitalistischen Illusionen hin.
Kapitalismus in Reinkultur spiegelt das im September eröffnete Luxushotel Fraser Suites im Herzen der Stadt wider, wo die Präsentation des Jahrbuchs stattfand. Früher befand sich in der 2011 von der Stadt verkauften Immobilie die Oberfinanzdirektion. Seit 2014 gehört das Hotel mit 154 Zimmern der Frasers Hospitality, einem milliardenschweren Investor aus Singapur. Jan-Oliver Meding, dessen Büro MPP die Umbauarbeiten federführend betreut hat, deutete in seiner Rede verschwurbelt an, dass Geld bei der Umgestaltung keine Rolle gespielt habe. »Es schwappt einem eine Grandezza aus Säulenpracht und Marmorglanz entgegen«, meint der Kritiker Jürgen Tietz etwas verdattert. Über die Grandezza dürfen sich nun vor allem solvente Touristen freuen.
Architektur in Hamburg, Jahrbuch 2019/20, Junius Verlag, 232 Seiten, 39,90 Euro
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