Nur ausbilden lohnt sich nicht

Christoph Ruf schaut lieber unterklassigen Fußball als Bundesligaspiele mit Instagram-Zombies

Am Wochenende musste es die große weite Fußballwelt sein. Wir hatten über verschlungene Wege noch zwei Tickets für ein Dortmunder Heimspiel ergattert und den Schock überwunden, dass ein hoch gelegener Sitzplatz hinterm Tor 51 Euro kostet. Immerhin bekamen wir dafür acht viel umjubelte Tore geboten: drei, die der BVB selbst schoss, und fünf, die Eintracht Frankfurt 175 Kilometer weiter südlich gleichzeitig gegen die Bayern erzielte und die das Westfalenstadion ebenfalls in Wallungen brachten.

Überhaupt gab es nicht viel zu meckern über den Nachmittag. Im Ruhrgebiet kann der Zeitgeist noch so ein Hundsfott sein. Vieles, was Fußball ausmacht, hat dort überlebt. Das merkt man im Vorortzug, an den Ständen rund ums Stadion und im Stadion selbst. Leider merkt man es dort allerdings nicht mehr überall. Es gibt sie auch in Dortmund, die Zombies, die meinen, einen kompletten Nachmittag auf ihr Handy bannen zu müssen. Zu Hunderten zahlten sie in unserem Stadiongehöft 51 Euro Eintritt, um ab 15 Uhr 20 Stadionmucke, Südtribüne und das Einlaufen der Spieler mitzuschneiden. Verstehen muss man das nicht. Es sei denn, Handyfilmchen von Stadionbesuchern sind die neuzeitlichen Äquivalente von Tante Annegrets Dias ihres Österreich-Urlaubs: »Ach, und schaut mal, in Minute 17 seht ihr den Torjubel in Block 70, Reihe 18, nachdem Guerreiro das 2:0 geschossen hat.«

Es sind diese Beobachtungen, die mir den großen Fußball immer mehr verleiden, da geht es mir beim Sport nicht anders als bei der Musik. Sympathisch sind mir Menschen, die um der Sache willen vor Ort sind, die dem Anpfiff entgegenfiebern, die Aufstellung zumindest erahnen und beim Torjubel nur ihre eigene Freude und die ihrer Freunde spüren. Und nicht das Bedürfnis, ihr (eben nicht wirklich) Erlebtes mit Anonymen zu teilen. Bei Konzerten ist das ähnlich: Je höher die Anzahl der emporgereckten Handys, desto höher die Quote derjenigen, die die Band nicht kennen, aber auf Instagram aufgeschnappt haben, dass viele andere sie kennen.

Drei Etagen unter dem BVB, dort also, wo viele Stadionbesucher »Instagram« für ein lösliches Getränk halten könnten, ist am vergangenen Wochenende zum zweiten Mal ein Spiel ausgefallen, denn Wattenscheid 09 wurde vor eineinhalb Wochen nach einem Sieg gegen Düsseldorf II vom Spielbetrieb abgemeldet. Zu hoch waren die Verbindlichkeiten, zu gering die Hoffnung, aus einem Wirtschaftsmodus herauszukommen, bei dem es Woche für Woche nur ums Löcherstopfen geht. Am Ende fehlten 130 000 Euro, um den Spielbetrieb bis zum Winter sicherzustellen und dann den von der Insolvenzverwalterin angedachten Sanierungskurs in die Wege zu leiten. Einige hunderttausend Euro also, und die Zukunft eines Vereins, der von 1990 bis 1994 in der ersten Liga spielte und mit 748 Zweitligaspielen immer noch auf Rang zwölf der »Ewigen Tabelle« dieser Spielklasse rangiert, wäre gesichert gewesen.

130 000 Euro dürften weniger sein als das monatliche Salär eines Durchschnitts-Erstligakickers. Für einen Verein, bei dem das Gehalt des Trainers und des Sportdirektors offenbar schon ein Drittel des Gesamtetats auffraßen, ist es aber eine tödliche Summe. Zumal in einer Liga, in der die Vereine von den knapp 1,2 Milliarden Euro, die sich der deutsche Fußball jährlich genehmigt, keinen Cent abbekommen. Ein etwas abstrakter Zusammenhang, der aber schnell konkreter wird, wenn man sich einmal zu Gemüte führt, wie viele Spieler Wattenscheid ausgebildet und in den Profifußball gehievt hat. Vier Jahre lang kickte Leroy Sané hier. Auch Kerem Demirbay, Michael Skibbe, Pierre-Michel Lasogga und die beiden Altintop-Brüder Hamit und Halil wurden in Wattenscheid ausgebildet, ebenso Thorsten Fink, der als Trainer gut verdient und als Spieler bei den Bayern viele, viele Jahre in der Champions League viel Geld ansparen durfte.

Man muss beim Fußball nicht immer über Geld reden, aber manchmal hilft es. Zumindest sei die Behauptung gewagt, dass jeder der genannten Spieler seinen Heimatverein mit einer Überweisung im Alleingang hätte retten können, die für ihn keinen spürbaren Verlust dargestellt hätte. 130 000 Euro hat ein bei Manchester City spielender Weltstar wie Sané jedenfalls in grob geschätzt drei, vier Tagen verdient. Doch auf dem Wattenscheider Spendenkonto fanden sich bis zuletzt vor allem zwei- und dreistellige Spenden von Fans und Kleinsponsoren. Die Absender Fink, Altintop, Skibbe oder Sané trug dabei keine einzige Spende.

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