»Ihr seid unsere Stimme«

Tausende protestierten in Berlin und weiteren Städten gegen den Krieg in Nordsyrien

  • Julian Seeberger
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Demonstrationszug war fast einen Kilometer lang, Hunderte Fahnen wehten, Bilder erinnerten an die Toten: Mehrere Tausend Menschen trugen am Samstag in Berlin ihren Protest gegen den Krieg auf die Straße, den die Türkei unter Präsident Erdogan derzeit völkerrechtswidrig gegen das mehrheitlich kurdische Gebiet Rojava im Norden und Osten Syriens führt. Dafür war aus zahlreichen Städten in die Hauptstadt mobilisiert worden.

Die Organisatoren wollten anknüpfen an den »World Kobane Day« von 2014, als weltweit Millionen Menschen für die kurdische Selbstverwaltung demonstrierten, wie Holger Müller von der Kampagne »Rise up 4 Rojava« (Erhebt euch für Rojava) erklärte. »Heute geht es um die Verteidigung des gesamten Projekts dort und wir wollen mit allen demokratischen, ökologischen, feministischen und anarchistischen Kräften gemeinsam auf die Straße gehen, die die Revolution dort auch als die ihre verstehen.«

Gleichzeitig fanden in vielen weiteren Städten und Ländern Großdemonstrationen zum Thema statt, etwa in London, Straßburg, Stockholm, Barcelona und Rom. Auch in Stuttgart und in der kurdischen Stadt Derik gingen mehrere Tausend Menschen auf die Straße, schließlich steht derzeit aus Sicht der Aktivsten vieles auf dem Spiel: »Im Kampf um Rojava vereinen sich alle fundamentalen Widersprüche des 21. Jahrhunderts. Hier werden Antworten gegeben auf Naturzerstörung, das Sterben im Mittelmeer und Krieg. Hier wird gekämpft für die Gleichstellung der Geschlechter. Und hier drohen Massaker und Genozid«, warnte Lisa Schelm, Pressesprecherin von »Rise up 4 Rojava« in Berlin.

Besonders emotional wurde die Stimmung, als nach einer Schweigeminute für die Opfer des Krieges eine Frau aus dem Kriegsgebiet live zu den Versammelten sprach. »Vielen Dank an die Menschen in Europa! Ihr seid seit Wochen in Solidarität mit Rojava auf der Straße. Die Welt hat uns vergessen. Ihr seid unsere Stimme«, sagte sie am Telefon.

Danach zog die Demonstration vom Alexanderplatz über die Friedrichstraße zum Potsdamer Platz. Die Polizei hatte trotz des friedlichen Verlaufs für diese und weitere Proteste 1500 Kräfte zusammengezogen. Besonders an der SPD-Zentrale war die Situation angespannt. Mehrere Hundertschaften hatten das Haus hermetisch abgeriegelt, Polizeihunde bellten in Richtung der Protestierenden. Vereinzelt wurde Pyrotechnik in den kurdischen Farben gelb, rot und grün gezündet. Polizisten zogen Helme und Sturmhauben über, traten bis auf Armlänge an die Demonstration heran. Die kurdischen Ordner fassten sich an den Händen, bildeten einen Kordon zwischen Polizei und der Menge. »Blut, Blut, Blut an euren Händen«, schallte es in Richtung der Regierungspartei - Kritik an deutschen Waffenlieferungen an die Türkei. Nach einer Weile entspannte sich die Lage, zu Festnahmen kam es nicht.

Auffällig sind indes die vielen politischen Anknüpfungspunkte, die die Aktivisten an diesem Tag deutlich machten. So betonte die vorn laufende Plattform »Women Defend Rojava« (Frauen verteidigt Rojava), das Projekt in Nordsyrien bilde einen Gegenpol zur autoritär-patriarchalen Türkei und dem IS und sei »Kraftquelle für emanzipatorische Bewegungen in aller Welt«. Auch die ökologische Gruppe »Ende Gelände« und die »Seebrücke«, die sich für Geflüchtete engagiert, beteiligten sich. »Wir müssen lernen, verschiedene Kämpfe zusammenzudenken und zu führen«, appellierten sie. Weitere Gruppen betonten die Notwendigkeit von Widerstand gegen Imperialismus, Neoliberalismus und faschistische Tendenzen.

Am Potsdamer Platz angekommen, zeigte sich Rojava-Aktivistin Lisa Schelm weitgehend zufrieden: »Die Demonstration hat unserem Protest einen guten Ausdruck gegeben«, sagte die Mittzwanzigerin, die ein traditionell kurdisches Tuch trug. Eigentlich müssten jedoch »Millionen auf der Straße sein«, »angesichts all des Schrecklichen, das den Menschen in Rojava mit dem Krieg angetan wird«.

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