Oberlandesgericht Köln spielt nicht mit der AfD

Rechtspopulisten verlieren gegen die SPD im Streit um die Distanzierung von Äußerungen

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist fast vier Jahre her, dass eine Anfrage der AfD-Landtagsabgeordneten Corinna Herold für einen kleinen Aufschrei im Thüringer Landesparlament sorgte. Damals wollte sie von der Landesregierung wissen: »Wie viele Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen leben in Thüringen (bitte nach einzelnen Gruppen aufschlüsseln) und wie viel Prozent der Bevölkerung Thüringens entspricht dies jeweils?« So steht es in Frage drei der Kleinen Anfrage Nummer 492, die die Zahnärztin eingereicht hatte, datiert auf den 1. September 2015. Gemeinhin war das als Aufforderung an die Landesregierung verstanden worden, zählen zu lassen, wie viele Menschen nicht den dominierenden Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität entsprechen.

Und es ist nun etwa ein Dreivierteljahr her, dass die SPD-Landtagsabgeordnete Dorothea Marx diese Anfrage Herolds als einen Ausweis dafür heran zog, dass die rechtspopulistische Partei aus ihrer Sicht schon länger offenkundig verfassungsfeindlich ist. »Als neofaschistische Partei tritt die AfD die Garantie der Menschenwürde und den Grundsatz des gleichen Wertes jedes Menschen mit Füßen und legt als Verfassungsfeindin die Axt an die freiheitlich-demokratische Ordnung unseres Grundgesetzes«, hatte sich Marx damals in einer Pressemitteilung der sozialdemokratischen Landtagsfraktion zitieren lassen.

Kaum war diese SPD-Pressemitteilung in der Welt, ging die AfD-Landtagsfraktion mit juristischen Mitteln gegen Marx vor. Herold habe mit der Anfrage überhaupt nicht gewollt, dass Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen gezählt werden. Sie habe nur wissen wollen, ob solches Zahlenmaterial vorliege. Damit schaffte es die AfD, vor dem Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung gegen Marx bzw. die SPD-Landtagsfraktion zu erwirken. Damit war den Sozialdemokraten tatsächlich untersagt worden, den Vorwurf zu wiederholen, Herold habe Menschen eines bestimmten Geschlechts oder einer bestimmten sexuellen Orientierung zählen lassen wollen. Warum in Köln? Die AfD hatte sich das Gericht ausgesucht. Das konnte sie, weil die Pressemitteilung der SPD im Internet veröffentlicht und damit deutschlandweit abrufbar war. In solchen Fällen suchen sich Kläger immer wieder die Gerichte aus, vor denen sie glauben, die größten Chancen auf Erfolg zu haben.

Wenig überraschend war diese Entscheidung des Landgerichts mit einem fast so heftigen Kopfschütteln bei den Sozialdemokraten aufgenommen worden, wie die ursprüngliche Anfrage Herolds. Immerhin ist seit Längerem klar, dass das Spiel mit der Distanzierung von vormals gemachten Aussagen zum festen Repertoire von Rechtspopulisten in Deutschland und Europa gehört.

Das Muster ist immer das gleiche: Ein Rechtspopulist sagt etwas, zum Beispiel über die Zeit des Naziregimes und darüber, dass diese nur »ein Vogelschiss« innerhalb der erfolgreichen deutschen Geschichte sei. Dafür bekommt er von seinen Anhängern Applaus, die nur eine Minderheit in der Gesellschaft darstellen. Wenn die Vertreter der Mehrheit den Rechtspopulisten für eine solche relativierende Aussage zum Schrecken der NS-Diktatur kritisieren, erklärt er, er habe sich das doch gar nicht so gemeint. Eigentlich habe er sich vom Nationalsozialismus distanzieren wollen, den er mit einer so bösen Vokabel wie »Vogelschiss« beschrieben habe. Der Rechtspopulist im Beispiel - nennen wir ihn Alexander Gauland - sagt dann so etwas wie, dass seine ursprüngliche Äußerung »missdeutbar und damit politisch unklug« gewesen sei.

Und weil das Muster so bekannt ist, legten die Sozialdemokraten Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Kölner Gerichts ein; Rechtsmittel, die nun im Streit um die einstweilige Verfügung Erfolg hatten: Das Oberlandesgericht Köln kassierte die Verfügung. Nicht nur, dass das Gericht zur Begründung seiner Entscheidung festhält, der AfD dürfe »im politischen Meinungskampf« eine »faschistische Grundhaltung« unterstellt werden. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Es sei auch zulässig, davon auszugehen, Herold und die AfD-Fraktion wollten ausweislich des Wortlauts der fast vier Jahre alten Anfrage Homosexuelle, Bi- und Transsexuelle, Transgender und intergeschlechtliche Menschen zählen lassen. Denn, so die Richter, es dürfe nicht vergessen werden, »dass die Frage nach (vorhandenen) Zahlen immer auch impliziert, dass zuvor gezählt worden sein muss«. Sie hätten auch schreiben können: Das Spiel der Rechtspopulisten mit der Distanzierung von sich selbst spielen wir nicht mit. Ob die AfD-Fraktion die Sache auf sich wird beruhen lassen, ist unklar.

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