Flughafen Heathrow wird erst später lahmgelegt

Die britische Bewegung »Extinction Rebellion« schickt Drohnenpiloten erst nach der Urlaubszeit los

  • Christian Mihatsch
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele, die sich gerade auf einen Urlaub vorbereiten, werden aufgeatmet haben, als die Umweltbewegung »Extinction Rebellion« (XR) am Sonntag die Blockade des Flughafens London Heathrow vorerst absagte. Ursprünglich war geplant, Europas wichtigstes Luftdrehkreuz an diesem Dienstag mit Drohnenflügen lahmzulegen - als Test: Im Juli sollte es dann eine zehntägige Blockade geben. Die Aktion sollte Teil der Proteste gegen den geplanten Bau einer dritten Startbahn sein, die mehr Flüge und damit höhere CO2-Emissionen zur Folge hätte.

Aus Sicht von XR vereint die Blockade drei Faktoren: »maximale Störung und damit maximalen politischen Druck, relativ geringen Ressourceneinsatz und keine Gefahr, jemanden zu verletzen.« Eine Schließung von Heathrow hätte immense Folgen: In einem Zeitraum von elf Tagen nutzen knapp 2,5 Millionen Menschen den Flughafen. Als im Dezember der kleinere Londoner Flughafen Gatwick wegen einer Drohne geschlossen wurde, waren 150 000 Passagiere betroffen; den Airlines entstand ein Schaden von 58 Millionen Euro. Bei der Heathrow-Aktion würde es um fast eine Milliarde gehen.

Im Vorfeld gab es scharfe Kritik der britischen Behörden. Die Flughafengesellschaft behauptete sogar, die Aktivisten würden Menschenleben riskieren. Dies wiesen Sprecher zwar zurück, doch es gab auch innerhalb von »Extinction Rebellion« Kontroversen. »Der Vorschlag hat ernsthafte Debatten in der XR-Gemeinschaft ausgelöst - nicht nur über den Vorschlag selbst, sondern auch über den (Entscheidungs-)Prozess«, hieß es in einer internen E-Mail.

XR ist sehr schnell gewachsen. Die erste größere Aktion war die Besetzung von fünf Brücken in London im November 2018. Im April folgte eine zehntägige Blockade von vier großen Kreuzungen, bei der 1130 Menschen festgenommen wurden. Wenige Tage später erfüllte das Parlament eine Kernforderung von XR wie auch der Schülerbewegung »Fridays for Future« und sprach sich für die Ausrufung des Umwelt- und Klimanotstands aus. Mittlerweile zählt XR über 100 000 »Rebellen« in Großbritannien und hat Ableger in 58 Ländern, darunter Deutschland. Mit diesem Wachstum konnten die internen Abläufe offenbar nicht mithalten, wie die verfrühte Ankündigung der Heathrow-Aktion zeigte. Mittlerweile wurde der Plan verfeinert - die Aktion soll nun nicht die Ferienflüge betreffen und »möglicherweise im September« stattfinden - mit zwei Monaten Vorwarnzeit für Reisende. Am Dienstag soll aber eine Demonstration stattfinden und, falls die Regierung den Ausbau nicht stoppt, wird im Juli weiterprotestiert.

Laut dem neuen Plan sollen die Drohnen maximal auf Kopfhöhe geflogen werden. Das stellt die Behörden vor ein Dilemma: Entweder erklären sie die XR-Aktion für ungefährlich und lassen den Flughafen offen, womit sie ihren eigenen Warnungen widersprechen. Oder aber die Behörden schließen den Flughafen und versuchen, die Drohnenpiloten zu verhaften. Da in diesem Fall keine Flüge in Gefahr sind, droht wohl »nur« ein Bußgeld von bis zu 2800 Euro oder eine Bewährungsstrafe. Eine mehrjährige Gefängnisstrafe kann aus Sicht des XR-Rechtsteams aber nicht ganz ausgeschlossen werden.

Die Aktivisten setzen hingegen auf Freispruch. Aus Sicht von XR hat der Flugverkehr »genozid-ähnliche Konsequenzen für kommende Generationen und die Natur«. Daraus leite sich ein Recht auf Widerstand oder Rebellion ab. Man beruft sich auf das gesetzliche Notstandsrecht, Störmaßnahmen zu ergreifen, wenn damit ein viel größerer Schaden verhindert werden kann. Diese Sicht wurde vor drei Wochen von einem Geschworenengericht bestätigt - dieses entschied in einem Fall von Sachbeschädigung durch XR-Vordenker Roger Hallam auf »nicht schuldig«.

An Freiwilligen mangelt es XR nicht: Nach eigenen Angaben hat die Bewegung eine Liste mit über 3000 Menschen, die bereit sind, für ihre Ziele ins Gefängnis zu gehen. Für die Heathrow-Aktion stünden 45 Drohnenpiloten bereit. Laut Planung reicht das, den Airport für zwei Tage lahmzulegen. Im September sollen es aber 16 Tage werden.

Das Ziel ist es, die Regierung zu Verhandlungen zu zwingen. Letztlich will XR aber erreichen, dass das britische Parlament im Rahmen des Klimanotstands einen Großteil seiner Befugnisse auf eine Bürgerversammlung aus zufällig ausgewählten Vertretern überträgt. XR geht es also nicht nur um Änderungen in der Umweltpolitik, sondern auch um den Umbau des Staats. Oder wie es XR-Mitbegründerin Gail Bradbrook sagt: »Ich organisiere keine Proteste. Ich organisiere einen Aufstand gegen meine Regierung.«

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