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Spannung oder Entspannung zwischen Moskau und Kiew

Russland soll 24 ukrainische Seeleute freilassen / Urteil des Hamburger Seegerichts zum Zwischenfall in der Straße von Kertsch

  • Klaus Joachim Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Nicht dem Urteil des Internationalen Seegerichts zur Freilassung von 24 ukrainischen Seeleuten und drei beschlagnahmter Schiffen war die Spitzenmeldung russischer Medien am Tag der Urteilsverkündung vorbehalten. Am Wochenende stellten sie zumeist das Ausscheiden der Sbornaja gegen Finnland bei der Eishockey-WM gegen Finnland ganz nach oben.

Die Forderungen aus Hamburg kamen an zweiter Stelle und unweigerlich mit dem Hinweis auf die »Grenzverletzung durch ukrainische Schiffe« im November 2018 in der Straße von Kertsch zwischen der von Moskau übernommenen Halbinsel Krim und dem russischen Festland. Ein Urteil stehe nur einem russischen Gericht zu, meinte nicht nur Olga Kowituidi aus dem Komitee für Verteidigung des Föderationsrates.

Für die Vize-Außenministerin der Ukraine Olena Serkal gab es hingegen keine Zweifel. Sie erklärte unmittelbar nach der Entscheidung im Onlinedienst Facebook, das Urteil sei ein »klares Signal an Russland, dass es nicht ungestraft Völkerrecht brechen kann«.

Die neue Kiewer Führung unter Präsident Wladimir Selenskyi müsse erst einmal zurückrudern, konterte der Vorsitzende des Außenpolitischen Komitees des russischen Oberhauses, Konstantin Kossatschow. Sie sollte Fehler ihrer Vorgänger einräumen, forderte er. Er verwies auf den neuen ukrainischen Generalstabschef, Ruslan Chomtschak, der die Entsendung der Schiffe in die Meerenge von Kertsch als »gefährlich« bezeichnet und »Fragen« an den Chef der Marine angekündigt habe.

Es handle sich bei dem Zwischenfall nicht um eine militärische Aktion, hatte das Gericht in Hamburg befunden. Die Gewaltanwendung durch russische Behörden sei ebenfalls eher als Rechtsdurchsetzung zu sehen und nicht als militärische Aktion. Das trifft aber in einer Moskau gegenüber höchst kritisch eingestellten internationalen Medienlandschaft wie in Moskau und Kiew auf Widerspruch.

So richtet sich gegen den Expräsidenten und damaligen Oberkommandierenden Petro Poroschenko die Beschuldigung, in dieser Sache Hochverrat und Machtmissbrauch begangen zu haben. Die »bewusste Provokation von Kertsch« habe dazu dienen sollen, den Ausnahmezustand zu verhängen und Präsidentenwahlen auf unbestimmte Zeit auszusetzen, klagt Andrej Portnow vor dem Staatlichen Untersuchungsbüro. Der Jurist und frühere Vizechef der präsidialen Administration meint, Poroschenko sei die Gefahr einer »aggressiven Reaktion« Russlands und für »Gesundheit und Freiheit« der Marineangehörigen und des Verlustes von Technik und Bewaffnung bewusst gewesen.

Der von dem Webportal ukraina.ru als »juristisches Genie« gepriesene Portnow handelt kaum auf eigene Rechnung. Er war bereits Regierungen von Julia Timoschenko bis zum gestürzten Viktor Janukowitsch dienstbar. Nach dem Maidanumsturz 2014 verließ er das Land, um jetzt unmittelbar nach dem Präsidentenwechsel zurückzukehren. Gegenüber der »Ukrainskaja Prawda« bestätigte der ebenfalls ins Ausland umgesiedelte Geschäftsmann Igor Kolomoiski, Portnow helfe ihm seit rund 20 Jahren »in einigen juristischen Angelegenheiten«. Der Oligarch gilt als der starke Mann hinter Selenski.

Bislang hat Russlands Präsident, Wladimir Putin, keine Neigung zur Zusammenarbeit mit dem neuen Chef in Kiew erkennen lassen. Vielmehr begrüßte er ihn mit der provokanten Ausgabe russischer Pässe an ukrainische Bürger und neuen Schwierigkeiten. Das russische Außenministerium erklärte unmittelbar nach der Urteilsverkündung, dass Moskau weiter nicht an dem Verfahren teilnehmen wolle. Militärische Aktivitäten durch Schiffe und Flugzeuge der Regierung fielen nach der UN-Seerechtskonvention nicht unter die Zuständigkeit des Seegerichtshofes.

Russland werde den Hamburger Beschluss nicht erfüllen, zitierte auch die Nachrichtenagentur TASS Alexander Molochow, Chef einer Expertengruppe für internationales Recht. Bemerkenswert jedoch, dass dessen Hinweis auf eine »Lösung der Frage der Seeleute auf politischem Weg« in der offiziellen Agentur nicht unerwähnt blieb. Präsident Selenskyi, der nach eigenem Bekunden mit Russland ins Gespräch kommen will, schrieb auf Facebook durchaus zutreffend, die Freilassung der Matrosen »könnte ein erstes Signal der russischen Führung sein, dass sie tatsächlich bereit ist, den Konflikt mit der Ukraine zu beenden«. Kiews Botschafter in Berlin, Andrej Melnik, wurde freilich auch mit der kaum hilfreichen Androhung von »Hamburger Sanktionen« zitiert, sollte Moskau das Urteil ignorieren.

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