Der nächste Akt im Brexit-Drama
Aussichtslose Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition - Trubel in Corbyns Führungsriege
Die britische Premierministerin Theresa May hat Labourchef Jeremy Corbyn zu Verhandlungen über eine gemeinsame Position zum Brexit eingeladen. Doch damit nicht genug im scheinbar unendlichen Brexit-Drama: Corbyns Schattenminister, die beiden Labour Abgeordneten, Jon Trickett und Ian Lavery, enthielten sich bei einer Abstimmung, die über eine öffentliche Wahl zur Annahme des Brexit-Deals entscheiden sollte. Beide Ereignisse könnten die politische Situation in eine andere Richtung lenken.
Die Verhandlungen zwischen May und Corbyn hätten - wäre die Premierministerin diesen längst überfälligen Schritt früher gegangen - sogar erfolgreich sein können. Denn bis in London die Massenproteste der sogenannten »Remainer«, derjenigen die für einen Verbleib in der EU werben, begannen, war die Labourführung für den Brexit - wenn auch unter bestimmten Bedingungen. May und Corbyn hätten sich zu einem früheren Zeitpunkt wohl kaum auf eine gemeinsame Linie einigen können, die von Parlament und EU mitgetragen worden wäre. Aber vollkommen ausgeschlossen war das nicht. Eine Einigung hätte vor allem in den Fragen um eine Zollunion mit der EU und den »Backstop«, die Regelung der irischen Grenze, gefunden werden müssen. Mays Schritt in Richtung Corbyn erfolgt einem machtpolitischem Kalkül und war erst nach der Ankündigung ihres Rücktritts möglich geworden.
Gleichzeitig haben sich die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Labourpartei scheinbar endgültig verschoben. Denn nun muss die Labourführung einlösen, was auf dem Parteitag in Liverpool als salomonischer Kompromiss festgelegt wurde. Im Kern heißt dieser, dass bei einem Nicht-zustande-Kommen des Brexits, wie ihn die Labourführung präferiert hat, die Bevölkerung erneut befragt werden muss. Auf einer Fraktionssitzung am Dienstag dieser Woche ist diese Option erneut diskutiert und intern zur Abstimmung gestellt worden. Allerdings nicht in Form eines neuen Referendums, sondern als Bevölkerungsabstimmung über ein EU-Austrittsszenario. Nach Informationen des britischen »Guardian« votierten circa 40 Labourabgeordnete gegen dieses Vorhaben oder enthielten sich. Darunter auch die Schattenkabinettmitglieder, Jon Trickett und Ian Lavery. Letzterer führt die Labourpartei unter Corbyn - Jon Trickett ist Mitglied der vierköpfigen Fraktionsführung um Corbyn. Beide stehen in der Partei symbolisch für die nordenglischen Wahlkreise, die sich in der Brexit-Abstimmung mehrheitlich für das Verlassen der EU ausgesprochen haben. In den kommenden Tagen wird sich zeigen, ob sie ihre Position ändern oder ob der bereits vorhandene Ruf nach personellen Konsequenzen für die Nicht-Einhaltung der Führungslinie Folgen hat.
Für die Verhandlungen mit May hat Corbyn als Vertreterin der Linie, die einem nächsten Referendum kritisch gegenübersteht, Rebecca Long-Bailey mit an den Tisch geholt. Damit sind neben Kier Starmer beide linken Positionen zum Brexit in der Labourpartei vertreten. Es kann sein, dass dieser Zug Teil eines Manövers seitens Corbyns ist, die ihn stützenden Flügel in einem neuen salomonischen Kompromiss zu einen. Dieser wird mit den Vorschlägen Mays und der Torries vermutlich nicht vereinbar sein.
Johanna Bussemer leitet das Referat Europa der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
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