Ein unbequemer Freund

Ernst Kahls Ausstellung «Vergessene Katastrophen» im Frankfurter Caricatura-Museum

  • Mark-Stefan Tietze
  • Lesedauer: 4 Min.

In seinem vermutlich bekanntesten, wenngleich immer noch zu wenig bekannten Lied stellt sich der Künstler seinem Publikum vor: «Goldenes Herz und Muskeln aus Stahl/ Ihr habt einen Freund und der heißt Ernst Kahl.» Bei jeder anderen Person des öffentlichen Lebens müsste man hinter solchen Worten infantilen Größenwahn oder gefallsüchtiges Kalkül wittern - Kahl singt hier jedoch einfach nur die Wahrheit.

Überprüfen lässt sich die für Außenstehende vielleicht etwas steil klingende These derzeit in einer Werkschau namens «Vergessene Katastrophen», die das Caricatura-Museum in Frankfurt am Main Ernst Kahl aus Anlass seines 70. Geburtstages am 11. Februar ausgerichtet hat. Die rund 350 Exponate, darunter 100 Acrylgemälde, Tusche- und Aquarellzeichnungen, Collagen, Objekte, Filme und Songs stellen lediglich einen kleinen Ausschnitt aus Kahls Œuvre dar. Sie zeigen in ihrer Virtuosität und Vielgestaltigkeit allerdings recht deutlich die Muskeln aus Stahl, mit denen Kahl in den vergangenen Jahrzehnten an seiner eigensinnigen Idee von komischer Kunst gemeißelt hat.

Bereits die frühen Arbeiten aus dem Buch «Bestiarium Perversum» von 1985 erweisen sich als typische Werke Kahls, indem sie einerseits technische Meisterschaft demonstrieren, andererseits Kahls Obsession für Sex, Tiere und Grenzüberschreitungen belegen. Den tendenziell familienfreundlichen Gegenpol dazu bilden die Gemälde, die Kahl über 26 Jahre hinweg unter dem Titel «Tafelspitzen» für die Zeitschrift «Der Feinschmecker» gefertigt hat. Meist handelt es sich um im Grundsatz eher simple Scherze aus dem Reich der Kulinarik: die «Jagdwurst», die mit einem Gewehr im Arm auf dem Hochsitz im Wald thront, während sich das Wild darunter versteckt, oder das «verdorbene Gemüse», das im Rotlichtviertel rauchend mit den Seeleuten poussiert. Diese Spiele mit Worten und Redensarten werden indes so üppig und prachtvoll ins Bild gesetzt, dass der dahinterstehende Kalauer in die Sphäre reiner Komik übertritt.

Dabei legt die verschwenderische Fülle der Einfälle und technischen Fertigkeiten, mit denen Kahl die Betrachter seiner Werke umgarnt, ebenso von seinem goldenen Herzen Zeugnis ab wie von der überreichen Zahl seiner Talente. Er malt, zeichnet, singt, schreibt, dichtet, collagiert und hat als Autor für Detlev Bucks Wiedervereinigungskomödie «Wir können auch anders» 1993 verdient den Deutschen Filmpreis erhalten. In demselben Jahrzehnt hat er für «Konkret» regelmäßig die (vorgebliche) Kinderseite «Kongretchen» gestaltet sowie in der «Titanic» doppelseitige Bildergeschichten im Kinderbuchstil veröffentlicht, die auch heute noch kühner und böser wirken als die meiste andere gezeichnete Satire in Deutschland - sei das die Geschichte von Michael Jacksons wunderheilendem Penis oder die von den naiven Bürgern, die sich Judensterne anheften, um gegen den Synagogenbrand in ihrer Stadt zu demonstrieren, und dafür ins KZ gesteckt werden, bis sie ihrem Gutmenschentum abschwören.

Für die beiden genannten Magazine arbeitet Ernst Kahl bis heute, und wer sich ihnen als Leser weltanschaulich verbunden fühlt, hat Kahl gewiss schon als Freund wahrgenommen. Dabei ist er jedoch kein bequemer Freund. Praktisch all seinen Bildern wohnt etwas Verstörendes inne. Das vermenschlichte Obst und Gemüse seiner «Tafelspitzen» ist beispielsweise meist verschlagen, gierig und renommiersüchtig, und eines seiner populärsten Bilder, auf dem eine Sau eine Reihe von Tierbabys säugt, darunter einen winzigen Elefanten, trägt den Titel «Leihmutter Jolante», was weniger auf die Macht universaler Mutterliebe verweist als auf die üblichen Vertrags- und Ausbeutungsverhältnisse.

Zwar greift Ernst Kahl nur selten explizit politische Themen auf, doch dienen Politik und Geschichte, insbesondere die deutsche mit ihren Kontinuitäten aus Kolonialvergangenheit, Weltkriegen und Nationalsozialismus, häufig als Hintergrund der im Bild erzählten Geschichten, der für Irritation und Komik gleichermaßen sorgt. So braucht man nicht erst Kahls finstere Entwürfe für «zeitgemäße Feldpostkarten» zu sehen, um zu ahnen, dass im Ausstellungstitel «Vergessene Katastrophen» ein Leitmotiv seines Schaffens stecken mag. Das titelgebende Bild jedenfalls illustriert die «Waschbärenplage in Kassel 2010», die Invasion einer eingeschleppten Art mithin, die einen kleinen traurigen Jungen seinen angestammten Platz in der Badewanne kostet. Das kann als Visualisierung einer weit verbreiteten Überfremdungsfantasie gelesen werden, gerne aber auch als Parodie auf entsprechende Propaganda.

Besonders augenfällig wird in der Ausstellung deshalb der Reichtum der Bildbestände und Anspielungen, mit denen Kahl seine aufwendigen Bilder ausstattet, um ihren Sinn in alle Himmelsrichtungen schillern zu lassen. Ständig nehmen sie auf Traditionen der Kunstgeschichte Bezug, geben sich als Teil von Serien und Rubriken aus, firmieren als Veranstaltungsplakate und Buchcover oder eröffnen neue Forschungsfelder («Die Nasenaffennase in sakralen Schweizer Briefmarkenmotiven»). Damit ist Ernst Kahl zum einen möglicherweise der erste vollendet postmoderne Maler der komischen Kunst in Deutschland, zum anderen jedoch in all seiner Großzügigkeit ein Freund. Ein Freund, der uns die Welt nicht schlichter malt, als sie ist - aber entschieden komischer.

«Ernst Kahl: Vergessene Katastrophen», bis 12. Mai, Caricatura Museum Frankfurt - Museum für Komische Kunst, Weckmarkt 17, Frankfurt am Main.

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