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Aufheben oder wegwerfen?
Ausstellung »Vom Briefkasten in den Papierkorb«
Ob der Programmzettel eines Sinfoniekonzerts, das Beiheft einer Theateraufführung oder die Einladung zu einer Kunstausstellung, immer steht die Frage: Aufheben oder wegwerfen? »Vom Briefkasten in den Papierkorb«, so der Titel einer Ausstellung im Literaturkabinett Bad Saarow, suggeriert, solche Postsendungen würden gewöhnlich nach Empfang im Papierkorb landen. Eine rühmliche Ausnahme bilden jedenfalls jene 72 Einladungskarten von Galerien, die der Kunstwissenschaftler Lothar Lang zwischen 1964 und 1989 bekommen und aufbewahrt hat. Darunter sind wahre Kostbarkeiten, die lange im Verborgenen ruhten. Elke Lang, Ehefrau des 2013 verstorbenen Kunstkenners, hat die schönsten Exponate ausgewählt. Sie sind jetzt in dieser gelungenen Schau zu sehen.
Auf den ersten Blick mögen die gezeigten Exponate unerheblich erscheinen. Bei näherer Betrachtung besitzen sie aber beachtliche Aussagekraft. Da finden sich Einladungen von Gerhard Altenbourg, Wieland Förster, Hermann Glöckner, Otto Niemeyer-Holstein, Max Uhlig oder Claus Weidensdorfer einerseits, zugleich Beiträge von westdeutschen Künstlern wie Horst Antes, HAP Grieshaber, Hannah Höch, Willi und Kurt Mühlenhaupt, Gerhard Richter und Friedrich Schröder-Sonnenstern sowie von Robert Liebknecht, dem 1994 in Paris verstorbenen Sohn von Karl Liebknecht. Neben der künstlerischen Vielfalt, die dem deutsch-deutschen Kulturalltag entsprach, hat die Ausstellung noch andere Qualitäten. Lothar Lang erhielt Einladungskarten auch von kleinen und kleinsten Galerien, in der DDR zum Teil halblegal agierend und mit schlichtester Drucktechnik ausgerüstet. Elke Lang schreibt im Begleitbuch: »Eine besondere Spezies bilden die Einladungen der kleinen privaten Stuben- und Ateliergalerien in der DDR. Diese sind insofern ein kultur- und sozialpolitisches Phänomen gewesen, als sie über kürzere oder längere Zeit von Künstlern betrieben wurden, die sich der Kulturpolitik ... bewusst entzogen hatten, um jenseits des sozialistischen Realismus ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen.«
Ein Schmuckstück dieser Richtung ist die Einladung der »Galerie Clara Mosch« in Karl-Marx-Stadt, die als eine Art Bauzeichnung getarnt war. Neben den Namen von Carlfriedrich Claus, Michael Morgner, Dagmar Ranft-Schinke, Thomas Ranft und Thorsten-Gregor Schade, aus denen der unverfängliche Fantasiename Clara Mosch entstand, gab es darauf ablenkende Angaben wie »23,5 m² Fußbodenbelag« oder »30 m Aluprofil«. Weiterhin in der Saarower Schau vertreten sind die aufmüpfige Ateliergemeinschaft Erfurt, das Atelier Lücke frequentor in Dresden, das Berliner Atelier Sredzkistraße 64 und die private Galerie Jürgen Schweinebraden, Letztere mit Werken von Dottore (eigentlich Wolfgang Lehmann), der dazu schrieb: »Verehrter Herr Lang, Ihr Besuch wäre mir eine besondere Ehre.« Auch kleine Galerien aus Westberlin luden Lang zu ihren Vernissagen ein, etwa die »Schöneberger Weltlaterne« oder die Ladengalerie Kurfürstendamm, diese mit Hans Grundig in Anwesenheit von Lea Grundig.
Große westdeutsche Galerien schickten oft hochwertige Einladungspost, so das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen, die Galerie Springer in Berlin oder die Galerie Brusberg in Hannover, jeweils mit einer Werkschau von Altenbourg. Natürlich kamen auch von etablierten Ostgalerien Einladungen, etwa vom Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin mit Werken von René Graetz oder der Neuen Galerie im Alten Museum.
Lothar Lang betrieb, angeregt durch kleine Westberliner Galerien, zwischen 1962 und 1968 selbst eine Galerie, das Kunstkabinett am Institut für Lehrerweiterbildung, erst Weißensee, dann Pankow. Der dort tätige damalige Dozent für Ästhetik gab jungen Künstlern eine Bühne, etwa Joachim John und Wulff Sailer, die hier jeweils ihre erste Ausstellung erlebten. Aber auch Meister wie Heinrich Ehmsen, Charlotte E. Pauly, Werner Stötzer und Herbert Tucholski stellte er im Zusammenwirken mit seinen Studenten aus. Das Kunstkabinett brachte es immerhin auf 67 Ausstellungen. Einige der gediegenen mehrseitigen Faltblätter wurden in die Sammlung ausgewählter Einladungen aufgenommen.
Gemeinsam mit dem rührigen »Förderverein Kurort Bad Saarow e. V.« hat Elke Lang eine informative und vielseitige Exposition zusammengestellt. Ihre zur gleichen Zeit ebenfalls mit dem Titel »Vom Briefkasten in den Papierkorb« veröffentlichte Publikation, versehen mit inhaltsreichem Essay und ausführlichem Anhang, kann als Katalog der Präsentation gelten. Ausstellung und Buch ermöglichen überraschende Einblicke in die künstlerischen Gegebenheiten während der deutschen Teilung und halten darüber hinaus bemerkenswerte Entdeckungen bei einzelnen Exponaten bereit. Ein Beispiel von vielen ist die humorvolle Zeichnung von Elizabeth Shaw »In der Galerie«, die dank der freundlichen Genehmigung der Erbengemeinschaft Shaw-Graetz als Plakat, Einladungskarte und Buchcover dient.
Dass Lothar Lang solche Miniaturen aufgehoben hat, ist ein großes Glück. Dankenswert auch, dass Elke Lang den Wert des hinterlassenen Konvoluts erkannte und ihre Auswahl einem größeren Interessentenkreis zugänglich macht.
»Vom Briefkasten in den Papierkorb - Einladungen zu Kunstausstellungen, 1964 bis 1989«, bis März 2019, Literaturkabinett Bad Saarow.
Publikation mit gleichem Titel: Herausgegeben mit einführendem Essay von Elke Lang. edition burgart, 108 S. mit 72 Abb., 2018, 24,50 €.
Am 24. Januar 2019 um 19.30 Uhr findet in der Bibliothek Bad Saarow ein Vortrag zur Ergänzung der Ausstellung statt: »Kleine Galerien - ganz groß. Kunstausstellungen in der DDR«, mit Jörg-Heiko Bruns.
Literaturkabinett und Bibliothek befinden sich in der Ulmenstraße 15 in Bad Saarow.
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